Mit der Ernennung von James David Vance zum Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten hat Donald Trump nicht nur einen loyalen Mitstreiter an seine Seite geholt, sondern zugleich ein politisches Signal gesetzt: Der Kurs der neuen US-Regierung ist nicht versöhnlich, sondern konfrontativ – innen- wie außenpolitisch. J.D. Vance, einst gefeierter Autor des Sozialdramas Hillbilly Elegy, ist zur Speerspitze eines ideologischen Umsturzes geworden, der das politische Establishment frontal herausfordert.
Vance ist das Produkt zweier Welten: einerseits der zerfallenden Arbeiterschicht des amerikanischen Rust Belt, andererseits der elitären Bildungsinstitution Yale. Sein Aufstieg aus prekären Verhältnissen in die höchsten Ränge der Macht symbolisiert nicht nur das Narrativ des amerikanischen Traums, sondern auch dessen Verkehrung: Statt Integration sucht Vance heute die Konfrontation mit jenen Institutionen, die diesen Aufstieg einst ermöglichten. Seine Rhetorik ist schneidend, seine politischen Botschaften kompromisslos. Er inszeniert sich als Stimme des „wahren Amerika“ – gegen die „verlogenen Eliten“, gegen „kosmopolitische Globalisten“, gegen den „liberalen Tiefenstaat“.
Bereits in den ersten Tagen der neuen Amtszeit machte Vance deutlich, dass er nicht gewillt ist, das Protokoll zu wahren. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ätzte er gegen die Gastgeber, warf europäischen Demokraten Feigheit vor und stellte sich – implizit, aber unmissverständlich – hinter rechtspopulistische Kräfte wie die AfD. Es war ein Tabubruch mit Signalwirkung: Amerika, so Vances Botschaft, wird unter seiner Ägide keine Rücksicht mehr auf diplomatische Gepflogenheiten oder historische Bündnisse nehmen.
In Washington gibt er sich als „Attack Dog“ – ein politischer Kämpfer, der vorprescht, während Trump schweigt. Vance artikuliert jene Angriffe, die sich der Präsident nicht selbst zu äußern traut oder strategisch auslagert. Er übernimmt die Schmutzarbeit des neuen politischen Projekts, das sich nicht mehr als republikanisch im klassischen Sinne versteht, sondern als revolutionär-nationalistisch. Der Bruch mit der republikanischen Tradition – wirtschaftsliberal, außenpolitisch interventionistisch, institutionenbewusst – ist vollzogen. An deren Stelle tritt ein autoritär gefärbter Populismus, für den Vance das intellektuelle und rhetorische Rückgrat bildet.
Kritiker werfen Vance vor, dass sein rascher Wandel – vom scharfen Trump-Gegner zum ergebenen Vasallen – weniger Ausdruck innerer Überzeugung als taktischer Opportunismus sei. Tatsächlich ist seine politische Metamorphose so frappierend wie kalkuliert. Vance hat erkannt, dass in Trumps Bewegung nicht Vernunft, sondern Macht das entscheidende Prinzip ist. Seine Loyalität zum Präsidenten ist daher nicht ideologisch, sondern instrumentell: Sie dient dem Aufbau eines eigenen Machtprofils, das ihn – so die kaum verhohlene Ambition – eines Tages selbst ins Oval Office führen soll.
Doch was macht Vance so gefährlich für das politische Establishment? Es ist weniger seine Position, sondern seine Glaubwürdigkeit in jenen Milieus, die sich von der Politik seit Langem verraten fühlen. Anders als viele republikanische Funktionäre kommt Vance aus der Welt, deren Wut er heute politisch kanalisiert. Seine Biografie verleiht ihm Authentizität, seine Sprache erreicht die Frustrierten und Enttäuschten. Und genau hier liegt seine disruptive Kraft: Er kann mobilisieren, radikalisieren – und zugleich die Maske des Intellektuellen tragen.
Ob Vance nur Trumps Speerspitze bleibt oder dessen Nachfolger wird, ist noch offen. Sicher ist jedoch: Mit ihm hat die US-Politik eine Figur hervorgebracht, die den Bruch mit der bisherigen Ordnung nicht nur rhetorisch beschwört, sondern machtpolitisch exekutiert. J.D. Vance ist kein Unfall der Geschichte, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Epochenwandels. Und wer ihn unterschätzt, wird den Charakter der neuen Zeit nicht begreifen.