Ein Land in der Krise
Deutschland steckt in einer der längsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Seit 2022 ist die Produktion energieintensiver Industrien um etwa 20 % zurückgegangen, Insolvenzen häufen sich, und der Fachkräftemangel verschärft die Lage. Reiche übernimmt ein schwieriges Erbe von Robert Habeck, dessen „Misswirtschaft“ – wie Kritiker es nennen – die Industrie mit hohen Energiekosten und Bürokratie belastet hat. Ihre Rede im Bundestag verspricht einen Aufbruch: Wachstum soll Wohlstand und Sicherheit bringen, Unternehmen sollen entlastet und Innovationen gefördert werden. Doch hält ihr Programm, was es verspricht?
Die Stärken: Marktwirtschaft und Entlastungen
Reiche betont die soziale Marktwirtschaft – Eigenverantwortung, Wettbewerb, Subsidiarität. Sie spricht die Sprache des Mittelstands, der unter der Krise leidet, und schlägt konkrete Maßnahmen vor:
- Deutschlandfonds: Mit 10 Milliarden Euro Eigenkapital und Hebelung auf 100 Milliarden Euro sollen Investitionen in DeepTech und Biotech angestoßen werden.
- Steuerliche Entlastungen: Eine degressive Abschreibung auf Investitionsgüter (30 % von 2025–2027) und eine schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028.
- Bürokratieabbau: Ein Realaborgesetz, Genehmigungsfiktionen und ein Moratorium für Statistikpflichten sollen Unternehmen entlasten.
- Energiekosten: Senkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum und Bezuschussung der Netzentgelte.
Diese Maßnahmen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Der Deutschlandfonds könnte Innovationen ankurbeln, und die steuerlichen Entlastungen sind ein Signal an Unternehmen, in Deutschland zu investieren. Der Fokus auf Bürokratieabbau spricht ein reales Problem an: Deutsche Unternehmen verbringen laut DIHK jährlich 50 Milliarden Stunden mit Bürokratie. Doch hier beginnt die Kritik.
Die Schwächen: Kompromisse und Halbherzigkeit
Reiches Programm ist von den Zwängen der CDU-SPD-Koalition geprägt. Viele Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt, was Unsicherheit schafft. Der Koalitionsvertrag atmet in Teilen die Kontinuität der Ampel-Politik, insbesondere in der Energie- und Klimapolitik. Konkrete Schwächen:
1. Bürokratieabbau: Mehr Rhetorik als Substanz?
Reiche verspricht, Berichtspflichten im Lieferkettengesetz abzuschaffen und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Doch die EU-Lieferkettenrichtlinie bleibt bestehen, und die SPD blockiert tiefgreifende Reformen. Ohne einen radikalen Schnitt – etwa ein Moratorium für alle neuen EU-Vorgaben – wird der Bürokratieabbau ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben. Unternehmen brauchen Planbarkeit, keine halbherzigen Versprechen.
2. Energiepolitik: Technologieoffenheit ohne Kernkraft
Die hohen Energiekosten sind ein Kernproblem der Industrie. Reiche setzt auf erneuerbare Energien, steuerbare Kraftwerke (20 Gigawatt) und Technologien wie CCS/CCU. Doch die Kernkraft, die in Ländern wie Frankreich für stabile und günstige Energie sorgt, wird im Koalitionsvertrag ignoriert. Dabei hat Reiche selbst 2012 den Atomausstieg als „energiepolitische Sackgasse“ bezeichnet. Diese Inkonsequenz ist enttäuschend. Ohne eine ernsthafte Debatte über Kernkraft bleibt die Energiewende teuer und riskant, vor allem für die Industrie.
3. Subventionen statt Marktwirtschaft
Reiche betont die Marktwirtschaft, doch ihr Programm enthält subventionäre Elemente: Netzentgeltbezuschussung, ein Industriestrompreis und die Wiedereinführung von E-Auto-Kaufprämien. Diese Maßnahmen sind pragmatisch, um kurzfristig Wettbewerbsnachteile abzufedern, widersprechen aber dem Prinzip einer freien Marktwirtschaft. Sie belasten den Steuerzahler und verzerren den Wettbewerb. Eine echte marktwirtschaftliche Lösung wäre, das Energieangebot durch Deregulierung und Technologieoffenheit zu erhöhen, um die Preise nachhaltig zu senken.
4. Fachkräftemangel und Bürgergeld
Reiche will den Fachkräftemangel durch schnellere Anerkennung beruflicher Abschlüsse und eine Reform des Bürgergelds bekämpfen. Doch die Details bleiben vage. Das Bürgergeld wird zwar „korrigiert“, aber es fehlt ein klarer Plan, wie Fehlanreize beseitigt werden. Ohne eine grundlegende Reform der Sozialsysteme und eine stärkere Förderung von Ausbildung wird der Fachkräftemangel weiterhin ein Wachstumshemmnis bleiben.
Die große Frage: Hat Deutschland das Wachsen verlernt?
Reiche spricht von „Lust auf Wachstum“ und verweist auf positive Signale: Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist seit der Wahl um 1,5 Prozentpunkte gestiegen, und die Zahl der Unicorns hat sich seit 2019 verdreifacht. Doch diese Zahlen kaschieren die strukturellen Probleme. Deutschland ist von hohen Steuern, Bürokratie und Energiekosten gelähmt. Reiches Programm setzt an den richtigen Stellen an – Mittelstand, Innovation, Entlastungen –, bleibt aber zu sehr in der Mitte gefangen. Es fehlt der Mut zu radikalen Reformen, die Deutschland wieder zur „Wachstumslokomotive“ machen könnten, wie es Bundeskanzler Merz formuliert.
Fazit: Ein Anfang, aber kein Durchbruch
Katherina Reiches Programm ist ein pragmatischer Versuch, Deutschland aus der Krise zu führen. Die Betonung von Marktwirtschaft, Entlastungen und Innovation ist richtig, doch die Umsetzung bleibt durch Koalitionskompromisse und Finanzierungsvorbehalte eingeschränkt. Ohne eine ernsthafte Debatte über Kernkraft, einen radikalen Bürokratieabbau und eine Abkehr von Subventionen wird Deutschland weiterhin hinter seinem Potenzial zurückbleiben. Reiche steht vor einer Herkulesaufgabe – und die Zeit für halbherzige Lösungen ist abgelaufen. Es braucht mehr Mut, Vernunft und Ausdauer, um Wachstum nicht nur zu predigen, sondern zu leben.
Vorstellung Regierungsprogramm Wirtschaft und Energie 16.05.2025