Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat in einer bemerkenswert geräuschlosen Einigung mit seinen Kabinettskollegen zwei Bundeshaushalte vorgestellt – für das laufende Jahr 2025 sowie Eckwerte für 2026. Im Zentrum steht ein massiver Anstieg der Neuverschuldung, der durch eine vor der Kanzlerwahl beschlossene Lockerung der Schuldenbremse im schwarz-roten Bündnis unter Friedrich Merz (CDU) ermöglicht wurde. Die Ministerialwünsche überstiegen den nun beschlossenen Haushalt um rund 47 bis 50 Milliarden Euro; Klingbeil habe, so seine Darstellung, diese Begehrlichkeiten erfolgreich abwehren können.
Kernpunkte des Haushaltsentwurfs:
- Neuverschuldung: Für 2025 sind 81,8 Mrd. Euro neue Schulden geplant, für 2026 sogar 89,3 Mrd. Im Verbund mit kreditfinanzierten Sondertöpfen summieren sich die neuen Schulden auf etwa 143 Mrd. Euro (2025) und über 170 Mrd. Euro (2026). Zum Vergleich: 2024 lag die Nettokreditaufnahme bei 33,3 Mrd. Euro.
- Gesamtausgaben: Das Haushaltsvolumen beträgt 503 Mrd. Euro im Jahr 2025 (+6 % gegenüber 2024), 2026 sollen es 519,5 Mrd. Euro werden.
- Investitionsschwerpunkte: Die beiden Hauptsäulen des Etats sind Verteidigung und Infrastruktur. Für militärische Zwecke (Bundeswehr, Nachrichtendienste, Zivilschutz, Hilfe für die Ukraine) sind 75 Mrd. Euro vorgesehen, bis 2029 soll dieser Bereich auf 170 Mrd. Euro anwachsen. In die Infrastruktur sollen über zwölf Jahre insgesamt bis zu 500 Mrd. Euro aus einem Sondervermögen fließen – 2025 konkret 37,2 Mrd., 2026 dann 57,9 Mrd.
- NATO-Quote: Mit 2,4 % des BIP erfüllt Deutschland bereits 2025 die NATO-Vorgabe von 2 %, mit Zielrichtung 3,5 % bis 2029, plus weitere Ausgaben für militärisch nutzbare Infrastruktur. Die Pläne nehmen vorweg, was beim anstehenden NATO-Gipfel erwartet wird.
- Zukunftsprobleme: Für 2027 bis 2029 erwartet das Finanzministerium wachsende Tilgungsbedarfe aus der Corona-Krise, bei gleichzeitig sinkendem Verschuldungsspielraum infolge einer konjunkturellen Erholung. Bereits heute ist absehbar, dass die Zinslast ein strukturelles Risiko darstellt.
Kritik und politische Reaktionen:
- Linke: Haushälter Dietmar Bartsch bezeichnete Klingbeils Pläne als Weg in eine „beispiellose Verschuldung“, die Zinslasten könnten bald unkontrollierbar werden. Die Schwerpunktsetzung auf Rüstung zulasten gesellschaftlicher Kohäsion wird besonders kritisiert.
- Innerparteilicher Konflikt in der SPD: Mehrere prominente Sozialdemokraten sprechen sich gegen Aufrüstung und insbesondere gegen neue US-Mittelstreckenraketen aus – ein möglicher innerparteilicher Konfliktherd.
- Journalistische Kritik: Manfred Schäfers (FAZ) warnt in einem zugespitzten Kommentar vor einem „Kreditwahn“ und einer „rasenden Fahrt auf der Autobahn“. Die expansive Verschuldungspolitik sei angesichts steigender Zinsen gefährlich und beraube künftige Regierungen jeglicher Flexibilität. Das Sondervermögen und die neuen Kreditregeln ermöglichten theoretisch unbegrenzte Staatsausgaben in bestimmten Bereichen – ein strukturell riskantes Szenario, das langfristig zu italienischen oder französischen Verhältnissen führen könnte.
Kritische Einordnung:
Was zunächst als pragmatische Haushaltslösung erscheint, wirft bei näherer Betrachtung fundamentale Fragen zur finanzpolitischen Nachhaltigkeit auf. Zwar lassen sich Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur durchaus als zukunftsgerichtet rechtfertigen, doch geschieht dies unter Inkaufnahme einer Schuldenpolitik, die faktisch neue fiskalische Realitäten schafft. Die Lockerung der Schuldenbremse ist keine bloße Notmaßnahme, sondern ein systemischer Paradigmenwechsel – mit allen damit verbundenen Risiken. Dass diese Entwicklung relativ widerstandslos und öffentlichkeitsarm vonstattenging, lässt auf eine strukturelle Schwächung haushaltspolitischer Kontrollmechanismen schließen. Die Balance zwischen kurzfristiger politischer Handlungsfähigkeit und langfristiger fiskalischer Tragfähigkeit droht verloren zu gehen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Deutschland sich durch diese Strategie ökonomisch erneuern oder fiskalisch überdehnen wird.