Kommunale Finanznot als föderale Zerreißprobe – Halbherzige Antworten der Bundesregierung auf eine strukturelle Krise

Die Drucksache 21/970 des Deutschen Bundestags ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zur kommunalen Finanzkrise und zur Rolle des Bundes in der föderalen Finanzaufteilung. Im Zentrum steht die kritische Analyse der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen, die sich in einem dramatischen Rekorddefizit und einem massiven Investitionsrückstand niederschlägt. Die Bundesregierung räumt die Problematik ein, präsentiert aber zugleich ein komplexes und teils widersprüchliches Maßnahmenbündel, das einer kritischen Betrachtung bedarf.

1. Ausgangslage: Die Finanzlage der Kommunen gilt laut Bundesregierung als „schwierig“. Im Jahr 2024 verzeichneten die Gemeinden ein Defizit von 24,8 Milliarden Euro, ein historisches Rekordhoch seit der Wiedervereinigung. Der Investitionsrückstand beläuft sich auf 186 Milliarden Euro. Die Handlungsspielräume vor Ort sind massiv eingeschränkt.

2. Ursachen: Als Ursachen werden strukturelle Unterfinanzierung, ein wachsender Aufgabenzuwachs durch Bundesgesetze ohne ausreichenden finanziellen Ausgleich (Stichwort: Veranlassungskonnexität) und fehlende Reformen der föderalen Steuerverteilung genannt. Hinzu kommen durch Bundesgesetzgebung ausgelöste Mindereinnahmen, etwa durch das geplante „Investitionssofortprogramm“, das kommunale Einnahmen um 4,9 Milliarden Euro schmälern wird.

3. Maßnahmen der Bundesregierung:

  • Einrichtung eines Sondervermögens „Infrastruktur und Klimaneutralität“ in Höhe von 100 Milliarden Euro, von dem auch Kommunen profitieren sollen. Die konkrete Ausgestaltung und Mittelverteilung obliegt jedoch den Ländern.
  • Geplantes „Länder- und Kommunalinvestitionsgesetz“ (LuKIFG-E), das insbesondere finanzschwache Kommunen fördern soll.
  • Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse mittels Breitband-, Wohnungsbau- und Bildungsinvestitionen sowie gezielter Programme zur Förderung strukturschwacher Regionen.
  • Einrichtung eines Zukunftspaktes von Bund, Ländern und Kommunen zur faireren Aufgaben- und Kostenverteilung.
  • Prüfung einer Altschuldenlösung, wobei bislang keine endgültigen Entscheidungen zur Finanzierung oder gesetzgeberischen Umsetzung getroffen wurden.

4. Förderprogramme: Die Bundesregierung verweist auf 117 Förderprogramme mit kommunalem Bezug. Die tatsächliche Inanspruchnahme durch Kommunen bleibt jedoch aufgrund administrativer Hürden und komplexer Zugangsbedingungen häufig hinter den Potenzialen zurück. Eine zentrale Plattform („Förderzentrale Deutschland“) zur Vereinfachung der Mittelvergabe ist in Planung, jedoch durch Haushaltszwänge verzögert.

5. Steuerfragen und Gesetzgebung:

  • Eine Erhöhung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer lehnt die Bundesregierung derzeit ab mit Verweis auf die Haushaltslage des Bundes.
  • Eine Reform des Umsatzsteuerverteilungsschlüssels könnte erwogen werden, setzt aber verfassungsrechtlich eine Beibehaltung der wirtschaftsbezogenen Ausrichtung voraus.
  • Eine Anhebung des Gewerbesteuer-Mindesthebesatzes auf 280 % ist geplant, was zu moderaten Mehreinnahmen für rund 40 betroffene Gemeinden führen würde.
  • Der Missbrauch durch sogenannte Gewerbesteueroasen und Briefkastensitze soll durch verbesserte Verwaltungsprozesse bekämpft werden. Konkrete Gesetzesinitiativen fehlen bislang.

6. Soziale Ausgaben: Ein erheblicher Teil der kommunalen Belastungen resultiert aus der Finanzierung gesetzlich übertragener Sozialleistungen. Eine vollständige Übersicht über die kommunalen Anteile liegt der Bundesregierung nicht vor. Auch hier wird auf den Grundsatz der Veranlassungskonnexität verwiesen, ohne dass bislang systematische Kompensationen vorgesehen sind.

Kritische Würdigung: Die Antwort der Bundesregierung offenbart ein tiefes strukturelles Dilemma der föderalen Finanzarchitektur. Zwar werden Maßnahmen zur Verbesserung der kommunalen Finanzlage vorgestellt, doch fehlt es vielfach an klaren Umsetzungsstrategien, verbindlichen Zeitplänen und einer echten Bereitschaft zur Umverteilung fiskalischer Lasten zugunsten der kommunalen Ebene. Besonders auffällig ist die Abwehrhaltung gegenüber einer Aufstockung des kommunalen Umsatzsteueranteils und die unklare Haltung zur Altschuldenproblematik. Die Rolle des Bundes bleibt vielfach reaktiv statt gestaltend. Zugleich zeigt sich, dass viele Förderprogramme an der Wirklichkeit kommunaler Verwaltungskapazitäten vorbeigehen und eine tiefgreifende Vereinfachung und Bündelung dringend erforderlich wäre.

Fazit: Die Drucksache ist ein eindrückliches Dokument über die föderalen Spannungen im deutschen Finanzsystem. Sie zeigt, dass die Bundesregierung zwar um die Dramatik der kommunalen Finanzlage weiß, aber bisher weder politisch noch strukturell entschlossen handelt, um den drohenden Erosionsprozess der kommunalen Selbstverwaltung aufzuhalten. Ein echter „Zukunftspakt“ müsste über symbolische Milliardenfonds hinausgehen und zu einer grundlegenden Neuausrichtung der föderalen Finanzverfassung führen. Dies scheint gegenwärtig nicht in Sicht.


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