Krankenstand in Deutschland: Entwicklung, Ursachen und Folgen

In den letzten Jahren hat der Krankenstand in Deutschland kontinuierlich zugenommen – sowohl in absoluten Zahlen als auch in seiner wirtschaftlichen Bedeutung. Der aktuelle IW-Report 2025 „Krankenstand – Entwicklung und Einflussfaktoren“ liefert eine umfassende Analyse zu diesem Thema, die wichtige Einsichten in die Struktur, Entwicklung und mögliche Handlungsfelder bietet.

Aktuelle Daten zum Krankenstand

Der durchschnittliche Krankenstand lag im Jahr 2023 bei rund 6,48 Prozent der beschäftigten Mitglieder von AOK und BKK. Dies entspricht etwa 14 bis 15 Arbeitstagen pro Jahr und Beschäftigtem, je nach Berechnungsgrundlage. Im Vergleich dazu meldet das Statistische Bundesamt einen etwas niedrigeren Wert von 15,1 Tagen pro Jahr, da hier die AU-Tage auf Arbeits- statt Kalendertage bezogen werden.

Die Entwicklung ist dabei nicht linear verlaufen: Nach einem starken Anstieg im Jahr 2022, der vor allem auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie und sinkende Bevölkerungsimmunität zurückgeführt wird, stabilisierte sich das Niveau 2023 wieder leicht. Dennoch bleibt der Krankenstand auf einem historisch hohen Niveau.

Ursachen des hohen Krankenstands

Die Gründe für die gestiegenen Fehlzeiten sind vielfältig:

1. Atmungserkrankungen dominieren

Rund 29 % aller AU-Fälle gehen auf Erkrankungen des Atmungssystems zurück, allen voran Erkältungen und Grippe. Diese führen zwar meist nur zu kurzen Fehlzeiten (weniger als sieben Tage), tragen aber deutlich zur Gesamtzahl der Krankschreibungen bei.

2. Muskel-Skelettsystem-Erkrankungen

Diese machen zwar weniger Fälle aus, dafür aber 31,6 % aller AU-Tage. Sie sind besonders in Branchen mit körperlicher Belastung verbreitet, wie im Baugewerbe oder in der Logistik.

3. Psychische Erkrankungen

Psychische Störungen tragen mit knapp 9 % der AU-Tage zu einem nicht unerheblichen Anteil am Krankenstand bei. Ihre Bedeutung nimmt stetig zu, insbesondere in Dienstleistungsberufen und im Gesundheitswesen.

4. Langfristige Ausfälle

Nur etwa 5,8 % der AU-Fälle dauern länger als vier Wochen, doch diese Fälle beanspruchen einen erheblichen Teil der gesamten Fehltage.

Soziodemografische Unterschiede

Geschlecht und Alter spielen eine Rolle beim Krankenstand:

  • Frauen haben in nahezu allen Altersgruppen einen höheren Krankenstand als Männer, selbst jenseits des typischen Elternzeitalters.
  • Mit steigendem Alter nimmt die Häufigkeit von AU-Fällen tendenziell zu, was auf altersbedingte Erkrankungen wie Gelenkprobleme oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgeführt wird.

Branchenspezifische Besonderheiten

Der Krankenstand variiert stark zwischen den Wirtschaftszweigen:

  • Öffentlicher Dienst: Hohe AU-Fallzahl, aber meist kurze Dauer (z. B. durch Erkältungen).
  • Gesundheitswesen: Höhere Fehltage aufgrund von Infektionen und körperlicher Belastung.
  • Industrie und Bau: Weniger häufige AU-Meldungen, aber längere Ausfallzeiten wegen Verletzungen oder chronischer Erkrankungen.

Ein besonderes Augenmerk gilt dem Homeoffice und neuen Arbeitsformen, deren Einfluss auf den Krankenstand noch unklar ist. Es gibt erste Hinweise darauf, dass mobiles Arbeiten die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verwischt und damit Fehlzeiten beeinflussen könnte – dies bedarf jedoch weiterer Forschung.

Regionale Unterschiede

Auch innerhalb Deutschlands zeigt sich ein heterogenes Bild:

  • Ostdeutsche Bundesländer weisen überdurchschnittliche Krankenstände auf, beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern mit durchschnittlich 223 AU-Tagen pro Fall.
  • In westdeutschen Regionen wie Bayern liegt der Durchschnitt bei etwa 199 Tagen.

Die Gründe liegen unter anderem in unterschiedlichen demografischen Strukturen, Arbeitsmarktbedingungen und regionalen Gesundheitsrisiken.

Wirtschaftliche Folgen

Der hohe Krankenstand wirkt sich direkt auf die Volkswirtschaft aus:

  • Die Entgeltfortzahlungskosten stiegen seit 2010 real um rund 30 %.
  • Unternehmen müssen nicht nur die direkten Kosten tragen, sondern auch mit Produktionsausfällen, Motivationsverlusten und Personalengpässen rechnen.
  • Studien deuten darauf hin, dass der hohe Krankenstand zu wirtschaftlichen Einbußen beiträgt – einige Experten sprechen sogar von einem konjunkturellen Risiko.

Folgen der elektronischen AU-Bescheinigung (eAU)

Seit 2022 ist die elektronische AU-Bescheinigung Pflicht. Dies hat die Erfassung verbessert, führt aber auch zu statistischen Verzerrungen:

  • Die AU-Zahlen sind seitdem systematisch höher, da jede Krankschreibung automatisch an die Krankenkasse gemeldet wird.
  • Eine hypothetische Korrektur dieser Effekte würde den sprunghaften Anstieg von 2022 halbieren, bestätigt aber das grundsätzlich hohe Niveau.

Internationale Perspektive

Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland mit seinem Krankenstand im Mittel- bis Hochbereich. Allerdings erschweren unterschiedliche Definitionen und Erfassungsmethoden den direkten Vergleich. Länder wie Schweden oder die Niederlande weisen oft niedrigere Fehlzeiten auf, was auf effektivere Präventionsstrategien oder strengere Regeln bei der AU-Erstellung zurückgeführt wird.

Empfehlungen und Handlungsfelder

Um den Krankenstand langfristig zu senken oder besser zu steuern, fordert der IW-Report folgende Maßnahmen:

  1. Betriebliche Gesundheitsförderung: Vor allem in Hochrisikobranchen sollten gezielte Präventionsprogramme etabliert werden.
  2. Digitalisierung der Prozesse: Die eAU sollte weiter optimiert werden, um Missbrauch zu verhindern.
  3. Telemedizinische Standards: Video-Sprechstunden könnten die Qualität telemedizinischer Gutachten erhöhen und gleichzeitig den Missbrauch reduzieren.
  4. Forschung: Individualdatenbasierte Studien sind notwendig, um Kausalitäten zwischen beruflichen Bedingungen und Krankenständen besser zu verstehen.

Fazit

Der Krankenstand in Deutschland bewegt sich auf einem stabil hohen Niveau. Während kurzfristige Ausfälle die Statistiken dominieren, sind es vor allem die seltenen, aber langfristigen Fehlzeiten, die wirtschaftlich spürbar sind. Um den Herausforderungen gerecht zu werden, braucht es ein differenziertes Management auf individueller, betrieblicher und politischer Ebene – denn Gesundheit am Arbeitsplatz ist nicht nur eine Frage der Produktivität, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit.


Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), IW-Report 2025 – Krankenstand – Entwicklung und Einflussfaktoren

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