Leichtes Zucken im Juli – aber keine echte Erholung

Die jüngsten Zahlen zur Industrieproduktion im Euroraum für Juli 2025 geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus – doch wer hinter die Nullen blickt, erkennt: Die industrielle Wirtschaft der Eurozone zuckt nur noch, statt wieder richtig in Schwung zu kommen. Ein Plus von 0,3 % gegenüber dem Vormonat mag auf den ersten Blick positiv wirken – vor allem nach einem revidierten Minus von „nur“ 0,6 % im Juni (ursprünglich –1,3 %). Doch diese sogenannte Erholung ist weniger ein Aufschwung als vielmehr eine Korrektur nach übertriebenen Abwärtssignalen.

Tatsächlich bleibt die Dynamik dünn, die Basis schmal und die Aussichten fragil. Der eigentliche Wachstumsmotor ist klar identifizierbar: der Konsum. Mit einem Sprung von +1,5 % monatlich und +6,6 % im Jahresvergleich bei Verbrauchsgütern wird deutlich: Die Menschen kaufen Haushaltsgeräte, Kleidung, Konsumelektronik – sie treiben die Nachfrage an. Gleichzeitig steigen Investitionsgüter um 1,3 % im Monat – ein hoffnungsvolles Signal, aber kein Sturmangriff auf die Zukunft. Unternehmen investieren zurückhaltend, nicht expansiv.

Noch alarmierender ist das Bild bei den Vorleistungs- und Energiesektoren – den wahren Pulsadern der industriellen Wertschöpfung. Vorleistungsgüter, also Rohstoffe, Halbfertigprodukte und Baugruppen, stagnieren oder fallen weiter: –0,9 % im Jahresvergleich. Das zeigt: Zwischenbetriebliche Lieferketten sind nicht belebt, die mittlere Stufe der Produktion steht still. Und Energie? Ein Minus von –2,9 % im Monat. Bei sinkenden Energiepreisen könnte das rational sein – doch es könnte ebenso auf mangelnde industrielle Auslastung hindeuten. Wo wenig produziert wird, braucht man wenig Strom und Treibstoff.

Die geografische Karte der EU offenbart eine zunehmende Spaltung. Während Lettland (+9,8 %) und Irland (+8,1 %) im Jahressprung glänzen, stürzt Bulgarien mit –8,3 % ab. Estland, Malta und Schweden verzeichnen massive monatliche Einbrüche. Diese Diskrepanz ist kein Zufall: Irland profitiert von Sonderfaktoren wie der Pharmaindustrie und US-Hightechinvestitionen; Lettland könnte von EU-Aufbaufonds profitieren. Doch was sagt das über die strukturelle Gesundheit der Kernindustrien in Deutschland, Frankreich oder Italien aus?

Deutschland etwa legt zwar um 1,5 % im Juli zu – ein Lichtblick nach langer Flaute. Doch das ist eine punktuelle Erholung, kein Trend. Die deutsche Industrie, einst Motor Europas, kämpft weiter mit Entkopplung vom asiatischen Markt, Dekarbonisierungszwang und hoher Regulierungsdichte. Frankreich und Italien liefern bestenfalls Seitwärtsbewegungen. Ohne einen starken Mittelstand und exportfähige Innovationen bleibt die Basis brüchig.

Die EZB mag sich an den +1,8-%-Jahreszuwachs klammern, um ihre lockere Geldpolitik zu rechtfertigen. Doch Wachstum darf nicht mit Bewegung verwechselt werden. Dieser leichte Anstieg ist kein Zeichen von Kraft, sondern von Erholung auf niedrigem Niveau. Die Industrie pendelt seit Monaten um ihren Vor-Corona-Trendwert – ohne Durchbruch, ohne Dynamik.

Zudem: Die Prognosen wurden verfehlt. Volkswirte erwarteten +0,4 % monatlich – stattdessen kam +0,3 %. Auch beim Vorjahresvergleich lag man knapp daneben. Das zeigt: Die Unsicherheit ist hoch, die Planbarkeit gering. In einer Welt, die von geopolitischen Spannungen, Handelskonflikten und klimatischen Umbrüchen geprägt ist, traut sich die Industrie nicht, dauerhaft Gas zu geben.

Fazit: Der Juli war kein Wendepunkt – allenfalls eine Atempause. Die Industrie im Euroraum steht nicht vor einem Aufschwung, sondern vor einer Entscheidung: Modernisierung oder Marginalisierung. Solange die Erholung nur auf kurzfristiger Konsumlaune basiert, anstatt auf Investitionen, Innovation und globaler Wettbewerbsfähigkeit, bleibt Europa ein Patient auf der Intensivstation – stabilisiert, aber nicht genesen.


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