Die Diskussion um die Finanzierbarkeit des Sozialstaates gehört seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil der deutschen Politik. Jüngste Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen nun: Die vom Bund direkt getragenen Sozialausgaben liegen gemessen an der Wirtschaftskraft heute in etwa auf dem Niveau von 2015 und 2000. Allein diese Zahl greift jedoch zu kurz – und taugt nur bedingt als Argument für oder gegen die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates.
Laut amtlicher Statistik wendete der Bund im Jahr 2024 rund 5,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für soziale Sicherung auf. Im Jahr 2015 waren es 5,64 Prozent, im Jahr 2000 5,63 Prozent. In absoluten Zahlen sind die Ausgaben zwar erheblich gestiegen, das gilt jedoch ebenso für das BIP, das sich seit der Jahrtausendwende nahezu verdoppelt hat – von 2,13 Billionen Euro auf über 4 Billionen Euro.
Auch andere Einzelposten weisen bemerkenswerte Stabilität auf: Der Anteil der Bundesausgaben für Gesundheit lag 2000 bei 0,21 Prozent des BIP und 2024 bei 0,20 Prozent. Deutlich zugenommen hat hingegen der Anteil der Bildungsausgaben, die sich von 0,25 Prozent (2000) auf 0,52 Prozent (2024) mehr als verdoppelt haben.
Die Debatte entzündete sich an einer zugespitzten Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der den Sozialstaat als „nicht mehr finanzierbar“ bezeichnete. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch reagierte darauf mit scharfer Kritik und sprach von einer „Lügenkampagne“. Er verwies darauf, dass der Sozialstaat keineswegs den Bundeshaushalt sprenge – vielmehr seien die massiven Aufwendungen für Verteidigung und Aufrüstung der eigentliche Kostentreiber.
Doch hier liegt der entscheidende Punkt: Wenn vom „Sozialstaat“ die Rede ist, darf der Blick nicht auf die Bundesausgaben allein verengt werden. Der Sozialstaat in seiner Gesamtheit umfasst vor allem die durch Beiträge finanzierten Leistungen wie Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Systeme erhalten zwar staatliche Zuschüsse, finanzieren sich aber überwiegend durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge.
Rechnet man sämtliche öffentlichen, vorgeschriebenen und freiwilligen Sozialleistungen zusammen, ergibt sich ein anderes Bild. Die sogenannte Sozialleistungsquote lag 2023 bei 30,3 Prozent des BIP, nach 29,4 Prozent im Jahr 2015. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kam in einer eigenen Berechnung auf denselben Wert. Damit ist klar: Die Gesamtbelastung der Volkswirtschaft durch Sozialausgaben ist in den vergangenen Jahren eher gestiegen als gesunken.
Fazit: Die zugespitzte Schlagzeile, wonach die Sozialausgaben gemessen am BIP seit 2015 nicht gestiegen seien, erfasst nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Richtig ist: Der Bundeshaushalt trägt im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung heute nicht mehr als vor zehn oder zwanzig Jahren. Doch der deutsche Sozialstaat insgesamt – betrachtet man alle Finanzierungsquellen – ist größer geworden. Die politische Kontroverse zwischen Sparappellen und Verteidigungsrhetorik lässt sich daher nicht auf eine einzige Zahl reduzieren. Sie verlangt eine ehrliche Diskussion über Prioritäten, Effizienz und langfristige Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme.