Michael S. Barr über die Zukunft kleiner Unternehmen – Herausforderungen, Chancen und makroökonomische Bedeutung

Im Rahmen des „2025 Northeast / Mid-Atlantic Small Business Credit Symposium“ richtete Michael S. Barr, Mitglied im Board of Governors der US-Notenbank, per Videobotschaft das Wort an die Öffentlichkeit. Barrs Rede wirft ein differenziertes Licht auf die fundamentale Rolle kleiner Unternehmen in der US-Wirtschaft – und spart dabei nicht an Kritik: Kapitalmangel, unzureichende Qualifikationen und fehlende Netzwerke stellen strukturelle Hürden dar. Gleichzeitig betont Barr, dass kleine Unternehmen nicht nur wirtschaftliches Rückgrat, sondern auch Innovationsmotor und sozialer Aufstiegskanal sind. Eine Bestandsaufnahme mit politischer Relevanz.

Drei strukturelle Kernprobleme

Barrs Rede strukturiert sich um drei zentrale Herausforderungen: eingeschränkter Zugang zu Kapital, mangelnde betriebswirtschaftliche Kompetenz und unzureichende Netzwerkbildung.

1. Zugang zu Kapital: Laut der aktuellen Small Business Credit Survey haben über 25 % der kleinen Unternehmen Schwierigkeiten, Kredite zu erhalten. Besonders betroffen sind Minderheitenunternehmen sowie Betriebe in einkommensschwachen Regionen. Finanzierungsangebote seien oft teuer, unverständlich und für viele schlicht unerreichbar. Der Trend zur Kreditverweigerung unter Selbständigen sei ein Alarmsignal für das wirtschaftliche Gründungsklima. Als Lösungsansätze nennt Barr unter anderem staatlich unterstützte Risikofonds, CDFIs (Community Development Financial Institutions) sowie technologische Innovationen durch FinTechs.

2. Mangel an unternehmerischem Know-how: Viele Gründer starten mit wenig Erfahrung im Finanz- und Geschäftsmanagement. Nur knapp die Hälfte der Kleinunternehmer gibt an, über ausreichende Finanzkenntnisse zu verfügen – ein Befund, der laut Barr langfristig das Überleben und Wachstum dieser Betriebe gefährdet. Programme wie das „Detroit Neighborhood Entrepreneurs Project“, bei dem Studierende in interdisziplinären Teams mit lokalen Unternehmen zusammenarbeiten, könnten hier ein Modell für skalierbare Unterstützungsmaßnahmen sein.

3. Fehlende Netzwerke: Der dritte und oft unterschätzte Engpass ist laut Barr der fehlende Zugang zu professionellen Netzwerken. Gerade junge Unternehmen ohne institutionelle Anbindung haben kaum die Möglichkeit, von erfahrenen Unternehmern zu lernen, sich mit potenziellen Partnern zu vernetzen oder Marktzugänge zu erschließen. Programme wie „BusinessLINC“, das etablierte und aufstrebende Unternehmen miteinander verbindet, zeigen, wie wichtig gezielte Netzwerkförderung für wirtschaftliche Teilhabe ist.

Kleine Unternehmen als makroökonomischer Katalysator

Im zweiten Teil der Rede weitet Barr den Blick: Kleine Unternehmen sind nicht nur zahlenmäßig relevant – sie sind makroökonomisch zentral. Sie stellen knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze im Privatsektor, erzielen fast 40 % des Umsatzes und zahlen ähnlich hohe Lohnsummen. Noch entscheidender aber ist ihre Rolle als Treiber von Innovation und Produktivität.

Barr verweist auf einen Zusammenhang, der in der makroökonomischen Debatte oft unterbelichtet bleibt: Die zuletzt gestiegene Produktivität der US-Wirtschaft gehe Hand in Hand mit einer Zunahme an Unternehmensgründungen. Kleinunternehmen erzeugen pro Mitarbeiter sechzehnmal mehr Patente als Großkonzerne. Diese Innovationskraft ist keine Nische – sie ist systemrelevant.

Risiken durch geopolitische Unsicherheiten und Lieferkettenstörungen

Trotz dieser positiven Entwicklungen warnt Barr vor aktuellen Risiken. Insbesondere die Unsicherheit durch neue handelspolitische Spannungen sowie die Verwundbarkeit von Lieferketten stelle eine ernsthafte Bedrohung für kleine Betriebe dar. Anders als Großunternehmen verfügen sie nicht über Diversifikationsstrategien oder Finanzpolster, um externe Schocks abzufedern. Ihre Ausfälle können sich direkt auf ganze Produktionsnetzwerke auswirken – wie bereits während der COVID-19-Pandemie sichtbar wurde.

Wirtschaftliche Teilhabe und sozialer Aufstieg durch Unternehmertum

Abschließend betont Barr die soziale Bedeutung von Kleinunternehmertum. Geschäftseigentum ist neben Wohneigentum der wichtigste Vermögensfaktor für private Haushalte in den USA – mit einem Anteil von 34 % am nicht-finanziellen Vermögen. Selbstständige besitzen durchschnittlich viermal so viel Vermögen wie Angestellte und doppelt so viel wie Rentner. Die Korrelation zwischen unternehmerischer Tätigkeit und sozialer Mobilität sei eindeutig.

Kritische Würdigung: Lückenhafte Unterstützung trifft strukturelle Relevanz

Barrs Rede stellt ein klares Bekenntnis zur Förderung kleiner Unternehmen dar – sowohl aus ökonomischer als auch aus sozialpolitischer Perspektive. Dennoch bleibt die praktische Umsetzung vieler seiner Vorschläge vage. Programme wie CDFIs oder SBDCs (Small Business Development Centers) leisten zweifelsohne wertvolle Arbeit, doch sie erreichen bislang nur einen Bruchteil der Betroffenen. Auch FinTech-Lösungen allein können das strukturelle Kreditdefizit nicht beheben, solange regulatorische und systemische Hürden bestehen.

Zudem fällt auf, dass Barr wenig zur Rolle der Geldpolitik in diesem Kontext sagt – obwohl hohe Zinsen gerade für kleine Unternehmen eine erhebliche Belastung darstellen. Hier hätte man sich einen differenzierteren Blick auf die Auswirkungen der restriktiven Zinspolitik gewünscht, insbesondere im Zusammenspiel mit den Kreditkonditionen.

Fazit

Michael S. Barr liefert in seiner Rede eine umfassende Analyse der Lage kleiner Unternehmen in den USA. Seine Ausführungen verdeutlichen, dass ökonomische Vitalität und soziale Gerechtigkeit in hohem Maße vom Erfolg kleiner Betriebe abhängen. Gleichzeitig bleibt die politische Übersetzung dieser Erkenntnis in konkrete Maßnahmen bislang unzureichend. Wer das volle Potenzial kleiner Unternehmen für Innovation, Wachstum und sozialen Aufstieg nutzen will, muss mehr tun als Studien zu zitieren – er muss strukturelle Hindernisse konsequent abbauen.


Quellen: Michael S. Barr, „Opening Remarks“, Small Business Credit Symposium, Federal Reserve Bank of New York, 15. Mai 2025.

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