Die Europäische Zentralbank hat in ihrer aktuellen Mitteilung die Zahlungsbilanzstatistik für den Euroraum im Juni 2025 vorgestellt. Die Daten zeichnen ein gemischtes Bild der ökonomischen Verflechtung des Währungsraums mit dem Ausland.
Leistungsbilanz: Starker Überschuss, aber rückläufiger Trend
Im Juni 2025 verzeichnete die Leistungsbilanz einen Überschuss von 36 Mrd. Euro, was einem Anstieg gegenüber dem Vormonat (32 Mrd. Euro) entspricht. Der Überschuss speist sich aus positiven Salden im Warenhandel (23 Mrd. €), bei den Dienstleistungen (16 Mrd. €) sowie beim Primäreinkommen (14 Mrd. €). Ein Defizit im Sekundäreinkommen von 17 Mrd. € wirkte jedoch gegenläufig.
Im Zwölfmonatszeitraum bis Juni 2025 fiel der Leistungsbilanzüberschuss mit 318 Mrd. € (2,0 % des BIP) merklich geringer aus als im Vorjahr (386 Mrd. €, 2,6 % des BIP). Diese Abschwächung erklärt sich vor allem durch:
- den Rückgang des Primäreinkommens von einem Überschuss (+43 Mrd. €) in ein Defizit (-7 Mrd. €),
- ein gestiegenes Defizit im Sekundäreinkommen (186 Mrd. € nach 168 Mrd. €),
- sowie einen reduzierten Überschuss im Dienstleistungssektor (144 Mrd. € nach 158 Mrd. €).
Ein leichter Ausgleich erfolgte durch einen Anstieg des Warenhandelsüberschusses auf 367 Mrd. € (vorher: 354 Mrd. €).
Kapitalbilanz: Anhaltende Kapitalbewegungen in beide Richtungen
Die Kapitalbilanz verzeichnete intensive grenzüberschreitende Finanzaktivitäten:
- Ansässige investierten netto 814 Mrd. € in ausländische Wertpapiere (stark gestiegene Käufe von Schuldverschreibungen und Fondsanteilen),
- während Gebietsfremde 749 Mrd. € in Wertpapiere aus dem Euroraum investierten (leichter Rückgang bei Schuldverschreibungen, deutlicher Anstieg bei Aktien und Fondsanteilen).
Im Bereich der Direktinvestitionen ist ein bemerkenswerter Trendwechsel zu beobachten:
- Während Ansässige im Vorjahr noch Kapital abzogen (-230 Mrd. €), erhöhten sie nun ihre Direktinvestitionen im Ausland um 261 Mrd. €.
- Gleichzeitig flossen 184 Mrd. € an Direktinvestitionen aus dem Ausland in den Euroraum, nachdem es im Vorjahr noch zu Kapitalabflüssen von 374 Mrd. € gekommen war – ein deutliches Zeichen für gestiegenes Vertrauen in den Euroraum als Investitionsstandort.
Übriger Kapitalverkehr: Enorme Zunahme der Forderungen
Die übrigen Kapitalbewegungen zeigen eine massive Ausweitung der Forderungen gegenüber dem Ausland um 636 Mrd. € (Vorjahr: 205 Mrd. €). Parallel dazu nahmen die Verbindlichkeiten um 360 Mrd. € zu, ein deutlicher Wechsel gegenüber dem Abbau von 181 Mrd. € im Vorjahr. Vor allem monetäre Finanzinstitute (MFIs) trugen mit einer Nettoaufnahme von Verbindlichkeiten von 234 Mrd. € wesentlich zu dieser Entwicklung bei.
Monetäre Darstellung und Währungsreserven
Die Nettoforderungen der MFIs gegenüber dem Ausland stiegen im Jahresvergleich um 383 Mrd. €. Der Bestandswert der Währungsreserven des Eurosystems sank im Juni 2025 auf 1.462,1 Mrd. € (Vormonat: 1.507,7 Mrd. €), primär durch:
- negative Marktpreiseffekte (34 Mrd. €) – insbesondere wegen sinkender Goldpreise,
- Wechselkursverluste (13 Mrd. €),
- die Zunahme durch Nettokäufe von 1,4 Mrd. € konnte diesen Rückgang nur teilweise kompensieren.
Kritische Würdigung
Die insgesamt positiven Salden in der Leistungsbilanz deuten weiterhin auf eine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft im Euroraum hin. Dennoch ist der rückläufige Überschuss ein Signal für nachlassende externe Nachfrage und strukturelle Herausforderungen – insbesondere die negative Entwicklung des Primäreinkommens legt nahe, dass die Kapitalerträge aus dem Ausland nicht mehr im bisherigen Maße sprudeln. Die steigenden Kapitalzuflüsse von außen zeugen zwar von einer stabilen Investitionsattraktivität, könnten aber zugleich Risiken bergen, wenn sie auf spekulativen Motiven oder Niedrigzinsarbitrage beruhen.
Die massive Zunahme grenzüberschreitender Forderungen im übrigen Kapitalverkehr wirft Fragen zur Nachhaltigkeit dieser Kapitalströme auf. Zudem ist der Rückgang der Währungsreserven ein Warnsignal, das die Verwundbarkeit gegenüber externen Preisschocks unterstreicht.
Fazit
Die Zahlungsbilanz des Euroraums zeigt sich in Summe robust, aber mit klaren Anzeichen einer sich verändernden Struktur: Der Euroraum bleibt attraktiv für Kapitalzuflüsse, muss jedoch wachsame geld- und wirtschaftspolitische Maßnahmen treffen, um die mittel- bis langfristige Leistungsfähigkeit seiner Leistungsbilanz und damit der realwirtschaftlichen Grundlagen abzusichern. Die aufschiebende Wirkung externer Kapitalzuflüsse darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass substanzielle Reformen zur Stärkung der Primäreinkommensposition und zur Reduktion des strukturellen Transfersaldos im Sekundäreinkommen notwendig bleiben.