1. Zentrale Entscheidung
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Unterzeichnung des seit 25 Jahren verhandelten Mercosur-Freihandelsabkommens auf Januar zu verschieben. Ausschlaggebend war der Widerstand Frankreichs und Italiens, die eine sofortige Unterzeichnung verhinderten und damit durchsetzten, dass mehr Zeit für innenpolitische Abstimmungen bleibt .
2. Politische Akteure und Konfliktlinien
- Frankreich und Italien: Präsident Emmanuel Macron und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verlangten die Verschiebung. Italiens Zustimmung ist für eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat zwingend notwendig.
- Deutschland und Spanien: Bundeskanzler Friedrich Merz und Pedro Sánchez drängten auf eine schnelle Entscheidung und mussten sich letztlich geschlagen geben.
- Brasilien / Mercosur: Präsident Lula zeigte sich nach Gesprächen offen für einen Aufschub, muss aber nun seine Mercosur-Partner von der Verzögerung überzeugen.
3. Bedeutung des Abkommens
Das Abkommen würde die größte Freihandelszone der Welt mit rund 770 Millionen Menschen schaffen (EU plus Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay). Für die EU geht es um bessere Exportchancen und eine strategische Stärkung gegenüber den USA; für Brasilien um eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Großmächten .
4. Wachsende Ungeduld in Südamerika
In Südamerika stößt die erneute Verzögerung auf zunehmende Skepsis:
- Argentinien unter Präsident Milei ist ohnehin kein überzeugter Befürworter und erhält zusätzlich ein Freihandelsangebot der USA.
- Paraguay, das die Mercosur-Präsidentschaft übernimmt, zeigte sich ebenfalls zurückhaltend.
- Industrielobbys in Argentinien und Brasilien könnten die Verzögerung nutzen, um Widerstand gegen das Abkommen zu mobilisieren.
5. Schutzklauseln für europäische Landwirte
Um interne Widerstände zu entschärfen, einigten sich EU-Staaten und Europaparlament auf zusätzliche Schutzklauseln:
- Bei schädlichem Importanstieg oder starkem Preisverfall können Zollvorteile ausgesetzt werden.
- Besonders überwacht werden sensible Agrarprodukte wie Rindfleisch, Geflügel, Reis, Zucker oder Ethanol.
- Regelmäßige Berichte (mindestens halbjährlich) sollen die Auswirkungen kontrollieren .
6. Ausblick
EU-Diplomaten zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass das Abkommen Mitte Januar mit qualifizierter Mehrheit beschlossen und noch vor der nächsten Plenarsitzung des Europaparlaments unterzeichnet wird, um juristische Blockaden zu vermeiden.
7. Kritische Einordnung
Die Verschiebung offenbart ein zentrales Dilemma der EU-Handelspolitik: Einerseits besteht strategischer und wirtschaftlicher Druck, das Abkommen abzuschließen; andererseits dominieren nationale Interessen und innenpolitische Rücksichten einzelner Mitgliedstaaten. Diese Uneinigkeit schwächt die Verhandlungsposition der EU nach außen und verstärkt in Südamerika den Eindruck europäischer Unzuverlässigkeit. Die neu vereinbarten Schutzklauseln mögen interne Widerstände dämpfen, bergen jedoch das Risiko, das Abkommen faktisch zu entwerten und künftige Handelspartner abzuschrecken.
