Die vorliegende Unterlage ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag zur Transparenz der nicht beitragsgedeckten versicherungsfremden Leistungen* in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Die Anfrage wurde am 1. September 2025 als Drucksache 21/1419 veröffentlicht und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 29. August 2025 übermittelt.
Hintergrund und Vorwurf der Fragesteller
Die Fragesteller kritisieren seit Jahren bestehende Transparenzdefizite bei der Abgrenzung und Finanzierung sogenannter nicht beitragsgedeckter Leistungen – also Leistungen der Rentenversicherung, die nicht durch die eingezahlten Beiträge der Versicherten gedeckt sind und daher durch Bundeszuschüsse finanziert werden müssen.
Im Jahr 2023 belief sich das Volumen dieser Leistungen auf etwa 124 Milliarden Euro, wovon laut Deutscher Rentenversicherung Bund (DRV Bund) knapp 40 Milliarden Euro nicht durch Bundeszuschüsse gedeckt waren. Dies führt zu einer intransparenten finanziellen Belastung des Systems.
Die DRV Bund hat zwar für ausgewählte Jahre (2009, 2017, 2020, 2023) Berechnungen zu diesen Leistungen veröffentlicht, jedoch nicht für die Jahre 2021, 2022 und 2024, und es existieren keine öffentlichen Prognosen für 2025 und 2026.
Der Sozialbeirat (Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2019) und der Bundesrechnungshof (Stellungnahme vom 7. Dezember 2023) haben bereits wiederholt gefordert, dass versicherungsfremde Leistungen – also solche, die nicht dem klassischen Versicherungsausgleich dienen (z. B. sozialpolitische oder gesamtstaatliche Aufgaben) – aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen finanziert werden sollten. Andernfalls werde die Akzeptanz des Rentensystems untergraben, da Beitragszahler indirekt für Aufgaben aufkommen müssten, die nichts mit der eigentlichen Versicherungslogik zu tun haben.
Die Bundesregierung hatte in einer früheren Antwort (Drucksache 21/973) argumentiert, eine eindeutige Abgrenzung sei nicht möglich, da sie von individuellen Werturteilen abhänge, und verwies auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages.
Fragen und Antworten der Bundesregierung
Fragen 1 und 2: Höhe der nicht beitragsgedeckten Leistungen 2024 und 2025
Die Bundesregierung erklärt, dass entsprechende Zahlen für 2024 und 2025 ihr nicht vorliegen. Damit wird deutlich, dass aktuelle oder prognostizierte Daten zur Inanspruchnahme versicherungsfremder Leistungen nicht systematisch erhoben oder veröffentlicht werden.
Frage 3: Annahmen für den Haushaltsentwurf 2026
Die Bundesregierung betont, dass für die Bemessung der Bundeszuschüsse nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestimmte Formeln und Größen maßgeblich sind. Die Entwicklung nicht beitragsgedeckter Leistungen sei keine relevante Berechnungsgröße für den Haushaltsentwurf. Damit wird klar: Die Höhe der Zuschüsse wird nicht auf Basis einer Analyse versicherungsfremder Leistungen festgelegt, sondern nach gesetzlichen Regelungen, die möglicherweise nicht transparent genug auf die tatsächliche Struktur der Leistungen abstellen.
Fragen 4 bis 6: Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz
Diese Fragen werden gemeinsam beantwortet:
- Der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags (RPA) hat aufgrund der Kritik des Bundesrechnungshofs beschlossen, dass das BMAS in Zusammenarbeit mit der DRV Bund die nicht beitragsgedeckten Leistungen einmal pro Legislaturperiode abschätzen und dem Haushaltsausschuss berichten soll.
- Im Rahmen dieses Beschlusses wurde am 27. Februar 2025 ein Bericht an den Haushaltsausschuss übermittelt, der die nicht beitragsgedeckten Leistungen für das Jahr 2023 in der engeren und erweiterten Abgrenzung darstellt.
- Die methodische Vorgehensweise wurde erläutert, und es wurde verdeutlicht, welche Leistungen als gesamtgesellschaftliche Aufgaben gelten und wie sich die Bundeszuschüsse dazu verhalten.
- Die Bundesregierung betont, dass mit dieser einmaligen Berichterstattung pro Legislaturperiode die erforderliche Transparenz hergestellt sei. Weitere Maßnahmen hält sie nicht für erforderlich.
Kritische Anmerkung: Ob eine einmalige Berichterstattung alle fünf Jahre ausreicht, um eine sachgerechte parlamentarische und öffentliche Debatte über die Finanzierung des Rentensystems zu ermöglichen, bleibt fraglich – insbesondere angesichts der Forderungen nach jährlicher Transparenz durch den Bundesrechnungshof und den Sozialbeirat.
Fragen 7 und 8: Finanzielle Auswirkungen einer vollständigen Abdeckung
Die Bundesregierung erklärt, dass keine entsprechenden Berechnungen vorliegen, die zeigen, welche Auswirkungen eine vollständige Abdeckung der nicht beitragsgedeckten Leistungen (in erweiterter Abgrenzung) auf den Beitragssatz oder das Rentenniveau hätte.
Dies bedeutet: Es gibt keine offiziellen Schätzungen, wie viel geringer der Beitragssatz sein könnte, wenn alle derzeit aus Steuern finanzierten versicherungsfremden Leistungen tatsächlich aus Steuermitteln vollständig abgedeckt würden – oder wie stark das Rentenniveau steigen könnte, wenn die Mittel anders verteilt würden.
Zusammenfassung der Kernaussagen
- Keine aktuellen Daten: Die Bundesregierung verfügt über keine Zahlen zu den nicht beitragsgedeckten Leistungen für 2024 und 2025.
- Keine Haushaltsrelevanz: Die Entwicklung dieser Leistungen spielt keine Rolle bei der Festlegung der Bundeszuschüsse – diese richten sich nach SGB VI.
- Eingeschränkte Transparenz: Auf Beschluss des Bundestagsausschusses wurde 2025 ein einmaliger Bericht für 2023 vorgelegt. Dies gilt als ausreichend – regelmäßige oder jährliche Veröffentlichungen sind nicht geplant.
- Keine Folgenabschätzung: Es liegen keine Berechnungen vor, wie sich eine vollständige Abdeckung dieser Leistungen durch den Staat auf Beitragssatz oder Rentenniveau auswirken würde.
Fazit
Die Antwort zeigt, dass die Bundesregierung zwar auf parlamentarischen Druck reagiert hat, aber kein umfassendes Transparenzsystem für versicherungsfremde Leistungen etabliert. Die Forderungen des Bundesrechnungshofs und des Sozialbeirats nach einer klaren, jährlichen und öffentlichen Darstellung dieser Leistungen bleiben nur teilweise erfüllt.
Die fehlenden Daten für 2024 und 2025 sowie die fehlenden Auswirkungsberechnungen für Beitragssatz und Rentenniveau unterstreichen, dass die Finanzierungsstruktur der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin intransparent bleibt. Dies erschwert eine fundierte politische und öffentliche Debatte über die Zukunft des Rentensystems und die gerechte Verteilung der Finanzierungslast zwischen Beiträgen und Steuern.
*Was sind „Nicht beitragsgedeckte versicherungsfremde Leistungen„?
Nicht beitragsgedeckte versicherungsfremde Leistungen sind Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), die aus zwei Gründen nicht durch die regulären Beiträge der Versicherten finanziert werden können:
- Sie sind nicht beitragsgedeckt: Die tatsächlich erbrachten Leistungen übersteigen den Betrag, der durch die eingezahlten Beiträge gedeckt ist. Der fehlende Teil wird durch Bundeszuschüsse ausgeglichen.
- Sie sind versicherungsfremd: Es handelt sich um Leistungen, die nicht dem klassischen Versicherungsprinzip entsprechen, bei dem Beiträge gegen Leistungen für eigene Risiken (wie Alter, Erwerbsminderung, Hinterbliebene) stehen. Stattdessen erfüllt die Rentenversicherung hier gesamtgesellschaftliche oder sozialpolitische Aufgaben, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden sollten.
Konkrete Beispiele für solche Leistungen
Diese Leistungen werden oft als „versicherungsfremd“ eingestuft, weil sie Aufgaben des Staates erfüllen, die über den reinen Versicherungsausgleich hinausgehen:
- Mütterrente: Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder, die die Versicherten selbst nicht direkt „erworben“ haben.
- Ost-West-Ausgleich: Finanzielle Angleichung der Renten zwischen West- und Ostdeutschland, um historische Unterschiede auszugleichen.
- Erziehungsrenten: Renten für Hinterbliebene, die ein Kind betreuen.
- Hinterbliebenenrenten: Für Ehepartner oder Lebenspartner nach dem Tod des Versicherten.
- Beitragsfreie Zeiten: Zeiten wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflege von Angehörigen, in denen keine Beiträge gezahlt werden, aber trotzdem rentenrechtlich berücksichtigt werden.
Die beiden Abgrenzungen: Enge vs. Erweiterte Definition
Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) unterscheidet zwischen zwei Berechnungsmethoden:
- Enge Abgrenzung: Berücksichtigt nur Leistungen, die eindeutig als gesamtstaatliche Aufgaben gelten, wie z. B. die Mütterrente oder der Ost-West-Ausgleich.
- Erweiterte Abgrenzung: Fasst noch weitere Leistungen hinzu, die sozialpolitisch motiviert sind, wie z. B. bestimmte Hinterbliebenen- oder Erziehungsrenten. Diese Abgrenzung ist weiter gefasst und umfasst ein deutlich größeres Volumen.
Warum ist das ein Problem?
Der Kern des Problems liegt in der Finanzierung und Transparenz:
- Intransparente Finanzierung: Obwohl diese Leistungen gesamtstaatliche Aufgaben darstellen, werden sie teilweise aus Beiträgen der Versicherten finanziert, die eigentlich nur für eigene Versicherungsleistungen vorgesehen sind.
- Fehlende Transparenz: Die Bundesregierung veröffentlicht keine aktuellen oder prognostizierten Zahlen für die Jahre 2024 und 2025, und es gibt keine Berechnungen, wie sich eine vollständige staatliche Finanzierung auf den Beitragssatz oder das Rentenniveau auswirken würde.
- Gerechtigkeitsfrage: Kritiker (wie der Bundesrechnungshof und der Sozialbeirat) argumentieren, dass Beitragszahler nicht für Aufgaben aufkommen sollten, die nichts mit ihrer individuellen Versicherung zu tun haben. Stattdessen sollten solche Leistungen konsequent aus Steuermitteln bezahlt werden.
Fazit
„Nicht beitragsgedeckte versicherungsfremde Leistungen“ sind also Leistungen der Rentenversicherung, die weder durch Beiträge gedeckt sind noch dem klassischen Versicherungsprinzip folgen. Sie erfüllen gesamtgesellschaftliche Aufgaben und sollten daher aus Steuergeldern finanziert werden. Ihre derzeitige Finanzierung über Beiträge führt zu einer intransparenten Belastung des Systems und wird von unabhängigen Gremien als problematisch angesehen.