Am Sonntag stehen in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahlen an. Mehr als 14 Millionen Bürger sind aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben – ein Ereignis, das traditionell über die Landesgrenzen hinaus Bedeutung entfaltet. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage im Bund wird dieser Urnengang mit Spannung beobachtet. Er gilt als Stimmungstest, nicht nur für die schwarz-rote Bundesregierung, sondern auch für die Parteienlandschaft insgesamt. Besonders groß ist die Nervosität mit Blick auf die AfD, der in Umfragen ein deutlicher Aufschwung prognostiziert wird.
Die Ausgangslage ist klar: Themen wie Inflation, Energiepreise, Wohnungsnot und Migration haben das Klima verändert. Vor drei Jahren war die politische Agenda noch von Klimafragen geprägt, nun dominieren die ökonomischen Alltagssorgen. Bürger fragen nicht nach ideologischen Großentwürfen, sondern nach der praktischen Handlungsfähigkeit von Politik. Ob Mieten, Strompreise oder die Überlastung kommunaler Infrastruktur – es sind diese „Bread and Butter“-Themen, die das Wahlverhalten prägen werden.
Die SPD steht in NRW vor einem Schicksalsmoment. Das Ruhrgebiet, einst Herzland der Sozialdemokratie, ist ihr politisch entglitten. Die Partei hat es versäumt, ihre traditionelle Arbeiterschaft an sich zu binden. Bürgergeld statt Arbeitsanreize, Schönreden statt Steuerung in der Migrationsfrage – all das entfremdet genau jene Wähler, die Leistungsgerechtigkeit einfordern. Viele fühlen sich doppelt bestraft: Sie arbeiten, zahlen hohe Abgaben und Mieten und sehen zugleich, dass staatliche Transferleistungen ohne klare Gegenleistung ausgeweitet werden. Sollte die SPD am Sonntag schwach abschneiden, droht ihr ein erneuter Linksschwenk in Berlin – ein Schritt, der ökonomisch hoch riskant wäre und die Republik noch tiefer in den Kreislauf aus Defiziten und Reformstau treiben könnte.
Auch die CDU kann sich nicht in Sicherheit wiegen. Friedrich Merz genießt im ländlichen NRW zwar Ansehen, doch die Erwartungen an ihn sind enorm. Seine Ankündigungen eines „Herbstes der Reformen“ werden an harten Zahlen gemessen. Wenn Einsparungen beim Bürgergeld nicht kommen oder die Staatsausgaben weiter ausufern, verliert er Glaubwürdigkeit. Hinzu kommt ein generelles Kommunikationsproblem: Wahlkampfauftritte von Parteigrößen überzeugen immer weniger. Der Bürger will Ergebnisse, keine symbolische Nähe. Scheitert die CDU am Sonntag in der Breite, wäre dies auch eine Schwächung von Merz’ Position als Kanzlerkandidat.
Die AfD profitiert von dieser Lage, auch wenn sie strukturell schwach bleibt. In vielen Gemeinden fehlt es ihr an Kandidaten, sie tritt nur in gut der Hälfte der Räte an. Dennoch ist ihr Protestpotenzial hoch. Sie besetzt die Debattenfelder, die die anderen Parteien meiden: Migration, Überforderung der Kommunen, Sicherheit im öffentlichen Raum. Wer diese Themen ignoriert, überlässt sie den Populisten. Die Brandmauer-Rhetorik verschärft das Problem eher noch. Wer die AfD reflexhaft als „Nazipartei“ diffamiert, gibt ihr den Reiz des Tabubruchs und unterschätzt die Zahl jener, die aus Frust wählen – auch ohne ideologische Nähe.
Für die Grünen gilt die Wahl als Realitätstest. Das Klimathema trägt nicht mehr wie einst, und die Berliner Ampel hat ihr Ansehen massiv beschädigt. Ob sie in NRW weiter zulegen können, ist fraglich. Die FDP wiederum droht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, weil sie bundespolitisch kaum mehr wahrgenommen wird.
Eines aber steht unabhängig vom Ausgang fest: Die finanziellen und strukturellen Herausforderungen im Bund sind gewaltig. Für 2027 ist ein Defizit von 34 Milliarden Euro absehbar. Ohne harte Reformen in Sozialausgaben, Rente und Bürokratie wird sich die Lage zuspitzen. Wenn SPD und CDU am Sonntag schwach abschneiden, wird die Umsetzung solcher Reformen noch schwieriger.
Die Angst vor der AfD ist in Wahrheit die Angst der Volksparteien vor den eigenen Versäumnissen. Die Bürger in NRW wollen keine Tabudebatten, sondern Antworten auf die ökonomischen Probleme ihres Alltags. Wer diese Realität verkennt, stärkt jene Kräfte, die sich als „einzige Alternative“ inszenieren. Am Sonntag entscheidet sich nicht nur, wie stark die AfD vor Ort wird – sondern auch, ob SPD und CDU noch in der Lage sind, Vertrauen zurückzugewinnen, indem sie marktwirtschaftliche Vernunft und politische Ordnung endlich wieder ins Zentrum stellen.