Die USA stehen erneut an einem legislativen Scheideweg. Unter dem Titel „One, Big, Beautiful Bill“ präsentiert Präsident Donald J. Trump ein umfassendes Gesetzesvorhaben, das von seinen Unterstützern als politischer Geniestreich gepriesen wird. Es verspricht alles: Steuererleichterungen, Grenzsicherung, Wirtschaftswachstum und die Renaissance der amerikanischen Energieunabhängigkeit. Ein Blick auf die Stimmen aus Industrie, Wirtschaft und Politik offenbart jedoch nicht nur ein breit gestreutes Lob, sondern auch die Rhetorik einer gut abgestimmten PR-Kampagne mit klarer Stoßrichtung.
Eine Reform mit Superlativen
Zunächst die Fakten: Die Gesetzesvorlage ist ein Konglomerat aus steuerpolitischen Maßnahmen, Infrastrukturinvestitionen, energiepolitischen Neuerungen und Maßnahmen zur Migrationskontrolle. Unter anderem beinhaltet sie:
- die Abschaffung der Biden-Ära-Methansteuer,
- Investitionen in Luftverkehrsinfrastruktur (u. a. 12,5 Mrd. USD für die FAA),
- die Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen,
- Steuererleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen,
- die Verlängerung und Ausweitung der Trump’schen Steuersenkungen aus dem Jahr 2017,
- Mittel für den Grenzschutz und die Einwanderungskontrolle.
Mit diesem Sammelgesetz wird versucht, politische Versprechen in ein einziges Abstimmungspaket zu bündeln – ein Vorgehen, das in der US-Geschichte nicht unüblich, aber in seiner sprachlichen Inszenierung bemerkenswert ist. Der Titel allein – „One, Big, Beautiful Bill“ – spiegelt Trumps charakteristischen Stil wider: populistisch, überhöht, markenartig.
Applaus von allen Seiten – aber nicht uneigennützig
Die Liste der Unterstützer liest sich wie ein Who’s Who des konservativen und wirtschaftsnahen Amerika. Von der Energiebranche über die Luftfahrt, Telekommunikation, Kleinunternehmerverbände bis hin zu Tech-Giganten wie Uber und DoorDash – überall Zustimmung. Doch was zunächst nach einer nationalen Einigung klingt, offenbart bei näherem Hinsehen ein klares Muster: Jeder profitiert – sofern das Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet wird.
- AXPC (Energie) sieht die Chance, wieder verstärkt fossile Brennstoffe auf Bundesland zu fördern.
- Airlines for America begrüßen dringend benötigte Investitionen in die veraltete Infrastruktur.
- CTIA (Mobilfunkverband) lobt steuerliche und spektrale Erleichterungen für den Ausbau ihrer Netze.
- Job Creators Network bejubelt eine Erhöhung der Steuerabschreibung für kleine Unternehmen.
- Uber und DoorDash applaudieren der geplanten Steuerbefreiung für Trinkgelder.
- Konservative Organisationen wie Americans for Prosperity oder die 60 Plus Association preisen das Gesetz als Bollwerk gegen Steuererhöhungen und staatliche Verschwendung.
Diese Unterstützungen sind jedoch nicht Ausdruck eines allgemeinen Gemeinwohldenkens, sondern klar interessengeleitet. Steuererleichterungen, weniger Regulierung, mehr unternehmerischer Spielraum – all das stärkt bestehende ökonomische Machtverhältnisse und nutzt primär den Branchen und Schichten, die bereits von Trumps Politik profitiert haben.
Kritische Perspektiven? Fehlanzeige
Auffällig ist: Die offiziellen Stimmen aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, Umweltorganisationen oder Vertretern marginalisierter Gruppen fehlen im veröffentlichten White-House-Dossier vollständig. Dabei berührt das Gesetz zentrale Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des ökologischen Gleichgewichts und der Steuerfairness. Allein die Wiederherstellung von 100 % Sofortabschreibung für Investitionen oder die Anhebung der Abschreibungssätze sind Maßnahmen, die zwar wirtschaftliches Wachstum befeuern können, aber auch potenziell Haushaltslöcher reißen und langfristige fiskalische Stabilität gefährden. Wo bleibt der kritische Diskurs zur Gegenfinanzierung?
Steuerpolitik als ideologisches Kampfmittel
Das Gesetz ist weniger ein technokratischer Budgetplan als vielmehr ein ideologisches Manifest. Die Wiederholung der Trump’schen Steuersenkungen, das Schüren von Angst vor „der größten Steuererhöhung der Geschichte“ oder das Narrativ einer „Rückeroberung der ökonomischen Freiheit“ zeigen: Diese Rechnung ist nicht nur fiskalisch, sondern vor allem politisch kalkuliert. Das eigentliche Ziel scheint die Mobilisierung der republikanischen Basis im Vorfeld der nächsten Wahlen zu sein.
Fazit: Schön, groß – aber auch gerecht?
Die „One, Big, Beautiful Bill“ ist eine inhaltlich breit gefächerte Gesetzesinitiative, die gezielt auf wirtschaftliche Interessenlagen reagiert. Der wohlkalkulierte Beifall der Industrie darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine stark einseitige Erzählung handelt. Die systematische Abwesenheit kritischer Stimmen wirft Fragen zur sozialen und ökologischen Ausgewogenheit auf.
Ob das Gesetz tatsächlich „schön“ ist, hängt letztlich davon ab, wen man fragt – und wer am Ende die Rechnung bezahlt. Die Öffentlichkeit verdient mehr als nur ein Hochglanz-Porträt von wirtschaftsfreundlicher Politik. Sie braucht eine offene Debatte über Verteilungsgerechtigkeit, Generationenverantwortung und die Balance zwischen Wachstum und Gemeinwohl. Und die steht noch aus.