Es gehört zu den großen Paradoxien der amerikanischen Demokratie, dass sie gerade im Schutz des Unbequemen, ja sogar des Anstößigen ihre Stärke beweist. Die Flagge, das Sternenbanner, mag für viele Bürger das heiligste Symbol nationaler Einheit sein. Doch die amerikanische Verfassung garantiert das Recht, dieses Symbol auch in Flammen aufgehen zu lassen. Seit dem Grundsatzurteil Texas v. Johnson (1989) gilt die Flaggenverbrennung als geschützte Form politischer Rede – empörend für viele, aber untrennbar mit dem Geist des First Amendment verbunden.
Mit seiner jüngsten Executive Order versucht Präsident Donald J. Trump nun, diese klare Rechtsprechung auszuhebeln. Offiziell geht es nicht um ein Verbot der Fahnenverbrennung selbst, sondern um die „maximale Anwendung“ allgemeiner Strafgesetze – Brandstiftung, Ruhestörung, Hassdelikte – überall dort, wo eine Flagge brennt. Juristisch klingt dies nach cleverer Umgehung, politisch ist es ein durchsichtiges Manöver: Ein verfassungsrechtlich geschützter Protest soll durch den Umweg des Strafrechts delegitimiert werden.
Besonders brisant ist der migrationspolitische Hebel: Ausländer, die die Flagge verbrennen, können künftig Visa und Aufenthaltsrechte verlieren oder des Landes verwiesen werden. Damit wird das Recht auf politische Meinungsäußerung abhängig gemacht vom Pass – eine Zwei-Klassen-Ordnung, die dem amerikanischen Ideal universeller Freiheit widerspricht. Es ist schwer, hierin nicht den Versuch zu erkennen, missliebige Stimmen mit ausländerrechtlichen Drohungen mundtot zu machen.
Die Berufung auf „öffentliche Sicherheit“ ist ebenfalls fragwürdig. Der Supreme Court hat in Brandenburg v. Ohio (1969) eindeutig festgelegt, dass nur Äußerungen, die unmittelbar zu Gewalt aufrufen und diese wahrscheinlich machen, von der Redefreiheit ausgenommen sind. Das bloße Verbrennen einer Flagge erfüllt diesen Standard nicht. Die Order steht damit auf verfassungsrechtlich dünnem Eis.
Man muss es so deutlich sagen: Hier wird die Flagge nicht nur geschützt, sie wird zur staatlich erzwungenen Ikone erhoben. Das Banner wird über das freie Wort gestellt – und damit das Symbol über die Freiheit, die es eigentlich repräsentieren soll. Eine Demokratie aber, die ihre Bürger zwingt, das Symbol der Freiheit zu verehren, läuft Gefahr, den Kern dieser Freiheit preiszugeben.
Die Frage ist nicht, ob Flaggenverbrennung geschmacklos ist – das ist sie zweifellos. Die Frage ist, ob ein freiheitlicher Staat den Bürgern das Recht verweigern darf, geschmacklos zu sein. Wer in der Flagge nicht nur ein Stück Stoff, sondern die Seele der Nation sieht, sollte sich erinnern: Es waren eben jene Prinzipien der Freiheit, die Millionen Amerikaner verteidigt haben – und nicht das Tuch selbst.