Pekings Wachstumsmodell stößt an seine Grenzen

China taumelt

Die jüngsten Konjunkturdaten aus China sind ein weiteres Warnsignal: Sowohl der Einzelhandel als auch die Industrieproduktion und die Investitionen in Sachanlagen blieben hinter den Erwartungen zurück. Damit gerät das Regierungsziel eines fünfprozentigen Wachstums zunehmend außer Reichweite. Was auf den ersten Blick wie ein konjunkturelles Zwischen­tief erscheint, offenbart bei genauerer Betrachtung ein strukturelles Problem – und eine Führung in Peking, die zwischen Machterhalt und wirtschaftlicher Realität laviert.

Besonders auffällig ist die Schwäche im Einzelhandel. Statt als neue Lokomotive des Wachstums zu fungieren, bleibt der Konsum der privaten Haushalte blass. Das Misstrauen der Bevölkerung in die ökonomische Zukunft ist tief verankert: hohe Jugendarbeitslosigkeit, eine in sich zusammenfallende Immobilienbranche und stagnierende Reallöhne bremsen jede Konsumlaune. Gerade weil Chinas Führung seit Jahren predigt, dass die Wirtschaft stärker binnenorientiert wachsen müsse, ist diese Entwicklung ein Schlag ins Gesicht der Verantwortlichen. Der Konsum soll die Exporte ablösen, doch das Vertrauen der Bürger fehlt.

Auch die Industrieproduktion, einst das Rückgrat des chinesischen Aufstiegs, zeigt Risse. Ein Wachstum von 5,2 Prozent im Jahresvergleich mag für westliche Maßstäbe beeindruckend wirken, für China ist es schwach. Analysten hatten mit mehr gerechnet – das Signal ist eindeutig: Die Exportdynamik verliert an Kraft. Chinas Industrie hängt am Tropf der Weltkonjunktur, und vor allem an der Nachfrage aus den USA. Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und eine Verlagerung von Lieferketten weg von China setzen die einstige Werkbank der Welt unter Druck.

Ein weiteres Alarmsignal liefert die Investitionstätigkeit. Dass Sachanlagen lediglich um ein halbes Prozent zulegten, zeigt, dass sowohl private Unternehmen als auch staatliche Stellen die Zukunftsfähigkeit des Standorts in Zweifel ziehen. Wer in unsichere Märkte und in einen überregulierten Staat investieren soll, hält sich lieber zurück. Dies illustriert die fundamentale Schwäche der chinesischen Ökonomie: Sie ist nicht in der Lage, Vertrauen zu schaffen.

Die politische Führung reagiert auf diese Entwicklung bislang mit abwartender Zurückhaltung. Statt beherzt Strukturreformen anzugehen, setzt Peking auf die Illusion, mit punktuellen Konjunkturspritzen Zeit zu gewinnen. Zinssenkungen, Subventionen, Infrastrukturprogramme – all das mag kurzfristig Linderung bringen, verschärft aber mittelfristig die Verschuldungskrise und droht die nächste Blase zu erzeugen. Ein nachhaltiger Umbau bleibt aus.

Erschwerend kommt hinzu, dass China längst nicht mehr allein über seine geldpolitische Souveränität verfügt. Die Notenbank in Peking muss sich am Kurs der US-Notenbank orientieren, will sie Kapitalflucht oder einen rapiden Wertverfall des Renminbi verhindern. Schon dieser Umstand zeigt: Die vermeintliche Stärke der Volksrepublik ist abhängig von äußeren Faktoren.

Es ist ein Paradox: Die Kommunistische Partei will Stärke, Souveränität und ökonomische Überlegenheit demonstrieren, doch ihre wirtschaftlichen Instrumente sind stumpf geworden. Der Ruf nach fünf Prozent Wachstum ist längst mehr politisches Mantra als ökonomische Prognose. Das erklärt auch, weshalb Analysten davon ausgehen, dass Peking den Herbst abwartet – erst die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt im Oktober und dann der Fortgang der Gespräche mit den USA werden über das Ausmaß neuer Maßnahmen entscheiden. Mit wirtschaftlicher Planungssicherheit hat dies wenig zu tun, vielmehr mit Machttaktik und Symbolpolitik.

Das eigentliche Problem bleibt unangetastet: China ist in eine Übergangsphase eingetreten, in der das alte, export- und investitionsgetriebene Modell nicht mehr funktioniert, das neue, konsumgestützte Modell aber noch nicht trägt. Ohne tiefgreifende Reformen – etwa eine Stärkung der privaten Nachfrage durch soziale Sicherungssysteme, die Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen oder eine Öffnung der Märkte – wird das Land weiter in der Zwischenwelt verharren. Doch genau diese Reformen sind politisch heikel: Sie schwächen die Macht des Staates und stärken den Einzelnen.

So wirkt das Reich der Mitte derzeit wie ein Riese auf tönernen Füßen: beeindruckend groß, doch in seinem Fundament brüchig. Pekings Führung kann das Bild einer robusten, dynamischen Wirtschaft noch eine Weile aufrechterhalten. Aber je länger sie die strukturellen Schwächen übertüncht, desto größer wird der Preis, den China am Ende zahlen muss. Das Wachstumsziel von fünf Prozent mag noch einmal erreicht werden – doch nur um den Preis einer noch größeren Abhängigkeit von staatlicher Manipulation. Für eine Volkswirtschaft, die weltweite Führungsansprüche erhebt, ist das ein Armutszeugnis.


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