Polen auf dem Weg zur neuen Führungsmacht Europas

Polen spielt heute eine zentrale Rolle in Europa. Geographisch liegt das Land in der Mitte des Kontinents und grenzt an sieben Staaten, darunter Deutschland, die Ukraine und Belarus. Mit 36,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist es das fünftgrößte Land der Europäischen Union.

Historisch wurde Polens Schicksal stark durch Russland beeinflusst: Vom polnisch-sowjetischen Krieg nach dem Ersten Weltkrieg über die Teilung durch den Hitler-Stalin-Pakt bis hin zur Eingliederung in den sowjetischen Einflussbereich nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Beitritt zur NATO (1999) und zur EU (2004) ermöglichten die Rückkehr Polens in den Westen.

Ökonomisch hat Polen seither eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen: Die Arbeitslosenquote sank von fast 20 % im Jahr 2003 auf 3 % im Jahr 2024 – die zweitniedrigste Rate in der EU. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im Schnitt um 4 % jährlich. 300 Milliarden Euro an EU-Hilfen haben dabei maßgeblich zum Ausbau der Infrastruktur und zur Modernisierung des Landes beigetragen. Regionen wie Masowien und Niederschlesien zählen heute nicht mehr zu den strukturschwachen Gebieten.

Polen ist ein Motor des europäischen Binnenhandels: 75 % der Exporte und 54 % der Importe wickelt das Land mit anderen EU-Staaten ab. Diese starke wirtschaftliche Verflechtung unterstreicht Polens feste Verankerung im Westen.

Militärisch nimmt Polen eine immer dominantere Rolle ein, insbesondere seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Polen war das erste Land, das Waffen lieferte und ukrainische Flüchtlinge aufnahm. Seine Verteidigungsausgaben stiegen drastisch: Von 10 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf etwa 35 Milliarden Euro im Jahr 2024. Der Militärhaushalt macht inzwischen 15 bis 20 % des Staatshaushalts aus – der höchste Anteil in der NATO.

Auch beim Schutz der Ostgrenze investiert Polen massiv: Der sogenannte Ostschild an den Grenzen zu Belarus und Kaliningrad umfasst Gräben, Bunker, Minenfelder sowie moderne Überwachungs- und Abwehrsysteme. Mit über 201.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten verfügt Polen seit 2023 über die größte Armee innerhalb der EU.

Im Bereich der Migrationspolitik verfolgt Polen seit 2021 eine harte Linie. Um Migrantenströme, die von Belarus instrumentalisiert wurden, abzuwehren, errichtete Polen einen 5 Meter hohen Grenzzaun. Dieser Eingriff hatte jedoch massive ökologische Folgen, insbesondere im Białowieża-Nationalpark, einem der letzten Urwälder Europas. Kritisch anzumerken ist hier, dass die nationale Sicherheit über den Schutz einzigartiger Naturressourcen gestellt wurde.

Unter Ministerpräsident Donald Tusk vollzog Polen seit 2023 einen politischen Kurswechsel: Es näherte sich der EU wieder stärker an und beendete das unter der PiS-Regierung angespannte Verhältnis. Das EU-Sanktionsverfahren wegen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit (Artikel 7) wurde im Mai 2024 eingestellt.

Gleichzeitig birgt der wirtschaftliche Erfolg neue Risiken: Die stark gestiegenen Löhne – ein Anstieg um 40 % zwischen 2015 und 2023 – könnten die internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Zudem leidet Polen unter dem demographischen Wandel: Die Geburtenrate sank auf 1,26 Kinder pro Frau, eine der niedrigsten in der EU. Die Wiederaufnahme staatlicher Zuschüsse für künstliche Befruchtung im Jahr 2024 soll gegensteuern.

Die Auswanderung bleibt ein Problem, auch wenn sie sich abgeschwächt hat. Polen wird jedoch zunehmend auch zum Einwanderungsland, vor allem für Menschen aus der Ukraine und Belarus.

Polens sicherheitspolitische Kultur hat sich fundamental verändert: Bereits Grundschülerinnen und Grundschüler erhalten Waffentraining, und seit 2025 sind Schießübungen für Oberschülerinnen und Oberschüler Teil des Lehrplans – ein drastisches Zeichen für das Bedrohungsempfinden gegenüber Russland.

Polens Aufstieg ist beeindruckend – wirtschaftlich wie militärisch. Allerdings stellt sich die Frage, ob der massive Fokus auf Verteidigung und Abschottung langfristig nicht die offenen, demokratischen Werte gefährdet, die Polen nach der Wende so mühsam erkämpft hat. Auch die Bereitschaft, Umweltschutz für sicherheitspolitische Maßnahmen hintanzustellen, ist kritisch zu hinterfragen. Die Balance zwischen Sicherheit, Freiheit und Nachhaltigkeit wird entscheidend für Polens Zukunft als europäische Führungsmacht sein.


Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Disclaimer: Dieser Beitrag dient lediglich zu allgemeinen Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Bitte konsultieren Sie vor jeder Anlageentscheidung einen unabhängigen Finanzberater