Politisch motivierte Kriminalität: Bundesregierung verteidigt Sonderregeln bei Zuordnung rechter Propagandadelikte – Methodische Asymmetrie bleibt bestehen

Zusammenfassung der Bundestagsdrucksache 21/794: „Fragen zur politischen Zuordnung von Propagandadelikten u. a.“

Die Drucksache dokumentiert die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zur Systematik und Methodik der Erfassung sogenannter Propagandadelikte im Rahmen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK). Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und inwieweit methodische Sonderregelungen – etwa zur pauschalen Zuordnung bestimmter Straftaten zum Phänomenbereich „PMK-rechts“ – zu verzerrten Statistiken führen.

Zentrale Inhalte und Erkenntnisse:

  1. Erfassung und Zuordnung politisch motivierter Kriminalität (PMK):
    Die Erfassung erfolgt über das bundesweit einheitliche System des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes – PMK“ (KPMD-PMK). Eine Tat wird einem „Phänomenbereich“ (z. B. PMK-rechts, -links, -religiöse Ideologie etc.) zugeordnet, wenn die Umstände der Tat auf eine politische Motivation schließen lassen.
  2. Sonderregelung für rechte Propagandadelikte unbekannter Täter:
    Laut geltender Ausfüllanleitung (Stand: 30. Oktober 2024) werden Delikte wie das Verwenden nationalsozialistischer Symbole (z. B. Hakenkreuze) grundsätzlich dem Bereich PMK-rechts zugeordnet, sofern keine gegenteiligen Hinweise zur Motivation des Täters bestehen – auch wenn die Täter unbekannt sind. Die Bundesregierung erkennt dies als Sonderregelung an, die auf „kriminalistischen Erfahrungswerten“ beruht. Für andere Phänomenbereiche existieren vergleichbare Regelungen nicht.
  3. Statistik zu unbekannten Tätern:
    Im Jahr 2024 wurden 17.497 Propagandadelikte erfasst, davon 16.175 mit unbekannten Tatverdächtigen und dem Bereich PMK-rechts zugeordnet – das entspricht einem Anteil von über 92 %. Eine differenzierte Auswertung, wie oft die erwähnte Sonderregel angewendet wurde, ist laut Bundesregierung nicht möglich, da Begründungen zur Zuordnung nicht dokumentiert werden.
  4. Wahlplakate als Tatobjekte:
    Die Zahl der mit verfassungswidrigen Symbolen beschmierten Wahlplakate stieg 2024 deutlich an. 679 solcher Delikte wurden registriert, 555 davon dem Bereich PMK-rechts. 86 % der Fälle betrafen unbekannte Täter. Besonders betroffen waren Plakate der SPD, Grünen und CDU. Auch AfD-Plakate wurden mit NS-Symbolen versehen – sie wurden ebenfalls dem Bereich PMK-rechts zugeordnet.
  5. Internet als Tatmittel:
    Der Anteil von Propagandadelikten mit Internetbezug stieg von 19 % (2023) auf über 25 % (2024). Auch hier dominierte der Bereich PMK-rechts mit 6.092 Fällen. Etwa die Hälfte dieser Delikte wurde über die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ (ZMI) gemeldet – eine staatlich koordinierte, aber auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren vernetzte Plattform.
  6. Volksverhetzung im Netz:
    Ähnliche Tendenzen zeigten sich bei Volksverhetzungsdelikten. 2024 wurden 9.122 Fälle registriert, davon 4.183 im Internet (46 %). Rund ein Drittel dieser Online-Fälle kam über die ZMI. Auch hier entfielen die meisten Taten auf den Bereich PMK-rechts.
  7. Keine statistische Erhebung zur Quelle der Anzeigen:
    Die Bundesregierung räumt ein, dass derzeit nicht systematisch erfasst wird, ob eine Anzeige von Privatpersonen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Meldestellen stammt.
  8. Rückgang antisemitischer Straftaten im Bereich PMK-rechts:
    Die AfD vermutete einen Zusammenhang mit der Abschaffung einer früheren statistischen Sonderregel. Die Bundesregierung widerspricht: Der Rückgang des Anteils im Bereich PMK-rechts von 58,75 % (2023) auf 48,36 % (2024) sei durch einen Zuwachs antisemitischer Taten in anderen Phänomenbereichen, etwa im Kontext des Nahostkonflikts, erklärbar.

Kritische Bewertung:

Die Drucksache beleuchtet ein sensibles Thema an der Schnittstelle von Statistik, Kriminalpolitik und gesellschaftlicher Wahrnehmung. Die Kritik der Fragesteller zielt auf mögliche politische Verzerrungen bei der Deliktszuordnung – insbesondere durch standardisierte Annahmen bei unbekannten Tätern im Bereich PMK-rechts.

Die Bundesregierung verteidigt die bestehenden Sonderregelungen als praxisgerecht, räumt jedoch ein, dass nur dieser Bereich über eine solche Zuordnungsautomatik verfügt. Damit steht sie in einem methodischen Spannungsverhältnis zu ihrem eigenen Anspruch auf objektive, phänomenoffene Kriminalstatistik.

Die hohe Zahl unbekannter Täter und das Fehlen differenzierter Herkunftsdaten zu Anzeigenquellen begrenzen die Aussagekraft der Daten. Dies gilt umso mehr, als über die ZMI auch politisch oder zivilgesellschaftlich gefilterte Inhalte Eingang in die Statistik finden – ohne dass deren Ursprung transparent gemacht wird.

Fazit:

Die Bundesregierung hält an der geltenden Praxis der PMK-Zuordnung fest, auch wenn deren methodische Asymmetrie offenkundig ist. Die Debatte um eine neutralere oder differenziertere Erfassung bleibt somit berechtigt. Die Drucksache liefert zwar umfangreiche Daten, lässt aber wesentliche Fragen zur statistischen Validität und politischen Unvoreingenommenheit der PMK-Erhebung unbeantwortet. Der Erklärungsbedarf – insbesondere bei der pauschalen Kategorisierung unbekannter Täter – bleibt bestehen.


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