Zusammenfassung der Rede von Jerome Powell, Vorsitzender der US-Notenbank, beim Economic Club of Chicago (April 2025):
Jerome Powell skizzierte in seiner Rede die aktuelle wirtschaftliche Lage der USA, die Herausforderungen für die Geldpolitik sowie die Unsicherheiten, die aus neuen politischen Maßnahmen resultieren. Die Rede war von einer bemerkenswert offenen Einschätzung geprägt, insbesondere in Hinblick auf die wachsenden Risiken für Inflation, Wachstum und Stabilität.
1. Wirtschaftliche Lage und Ausblick
Powell betonte, dass sich die US-Wirtschaft trotz zunehmender Unsicherheiten in einem soliden Zustand befinde:
- Arbeitsmarkt: Stabile Beschäftigungslage mit moderater Lohnentwicklung; die Arbeitslosenquote bleibt niedrig, jedoch hat sich das Beschäftigungswachstum verlangsamt.
- Inflation: Zwar deutlich gesunken seit den Pandemie-Höchstständen 2022, aber immer noch leicht über dem Zielwert von 2 % – aktuell liegt der Kern-PCE bei 2,6 %.
- Wirtschaftswachstum: Das Wachstum hat sich im ersten Quartal 2025 verlangsamt. Erste Prognosen deuten auf ein nachlassendes Konsumklima und eine Abschwächung der Investitionstätigkeit hin.
2. Risiken und geldpolitische Herausforderungen
Tarifpolitik und Handelskonflikte
Ein zentrales Thema der Rede waren die neuen US-Handelszölle, deren Umfang laut Powell größer sei als erwartet. Die Folgen:
- Kurzfristige Inflationsimpulse durch höhere Importpreise.
- Mögliche dauerhafte Inflationsrisiken, wenn Unternehmen die Situation nutzen, um Preise breiter anzuheben („Trittbrettfahrer-Effekte“).
- Störung von Lieferketten, ähnlich wie in der Pandemie bei Halbleitern, was zu langfristigen Preissteigerungen führen könnte.
Zunehmende Unsicherheit
Powell sprach von einer strukturellen Unsicherheit, die durch politische Kurswechsel (u.a. in Handel, Einwanderung, Regulierung) entsteht. Diese könne Unternehmen davon abhalten, Investitionen zu tätigen – mit negativen Effekten auf Wachstum und Produktivität.
3. Duale Mandatsziele in möglichem Konflikt
Powell räumte ein, dass sich die Fed möglicherweise in eine Lage bewegt, in der ihre beiden Hauptziele – Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität – nicht mehr gleichzeitig erreichbar sind:
- Höhere Inflation durch Zölle trifft auf eine sich abkühlende Konjunktur.
- Die Geldpolitik hat nur begrenzte Werkzeuge, um gegen beides gleichzeitig vorzugehen.
Die Fed werde sich in einem solchen Spannungsfeld daran orientieren, wie weit die Wirtschaft jeweils von den beiden Zielen entfernt sei und welche Korrekturpfade denkbar sind.
4. Immigration und Arbeitsmarkt
Die stark zurückgegangene Einwanderung seit der neuen Regierungspolitik habe das Arbeitskräfteangebot begrenzt. Dennoch habe die parallele Abschwächung der Arbeitskräftenachfrage die Arbeitslosenquote stabil gehalten.
Langfristig sei nicht mit nennenswerten inflationären Effekten durch geringere Zuwanderung zu rechnen, da Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt tendenziell gemeinsam schrumpfen.
5. Finanzmärkte und „Fed Put“
Powell wies die Vorstellung zurück, dass die Fed bei fallenden Aktienkursen automatisch unterstützend eingreifen werde („Fed Put“). Die Märkte funktionierten derzeit geordnet, auch wenn Volatilität gestiegen sei – vor allem infolge der Unsicherheit über die künftige Handelspolitik.
6. Finanzsystem und Regulierung
- Bankensektor: Gut kapitalisiert und widerstandsfähig. Risiken bestehen vor allem bei kleineren Banken mit hoher Exponierung in Gewerbeimmobilien.
- Schattenbanken und Private Credit: Stark wachsend, bislang ohne realen Stresstest. Die Fed beobachtet diese Entwicklungen aufmerksam, warnt jedoch vor der fehlenden Regulierung.
- Basel III: Powell bekräftigte seine Absicht, die Regulierung großer Banken wie geplant weiterzuführen.
7. Technologie, KI und Kryptomärkte
Powell zeigte sich beeindruckt von der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) und deren potenziellen Auswirkungen auf Produktivität und Arbeitsmärkte. Unklar bleibe jedoch, ob KI langfristig mehr Jobs schafft oder vernichtet.
Auch im Kryptobereich sieht er Fortschritte, insbesondere bei der Regulierung von Stablecoins. Ziel sei es, Innovation zu ermöglichen, ohne die Stabilität zu gefährden.
8. Fiskalpolitik und Staatsverschuldung
Powell äußerte sich ungewöhnlich deutlich zur Fiskalpolitik:
- Die US-Staatsverschuldung sei zwar noch nicht auf einem akuten Krisenniveau, jedoch langfristig nicht nachhaltig.
- Die wachsenden Ausgaben für Medicare, Medicaid, Sozialversicherung und Zinsen müssten reformiert werden – was nur parteiübergreifend möglich sei.
9. Unabhängigkeit der Fed
Trotz politischer Spannungen betonte Powell die gesetzlich verankerte Unabhängigkeit der Federal Reserve, die er strikt verteidige. Politischer Druck werde die Entscheidungen nicht beeinflussen.
10. Persönliches Schlusswort
Abseits der nüchternen Analyse gab Powell auch persönliche Einblicke: Seine Freizeit verbringe er mit Gitarrespielen, Zoom-Calls mit Familie und Fitnessstudio-Besuchen – eine gelungene menschliche Abrundung einer sonst sehr komplexen Rede.
Kritische Bewertung
Powell gelingt eine ausgewogene Darstellung der Lage, ohne die Risiken zu beschönigen. Auffällig ist seine Bereitschaft, offen über die Grenzen geldpolitischer Wirkung zu sprechen. Zugleich meidet er konkrete Aussagen zu künftigen Zinsentscheidungen – erwartungsgemäß.
Kritikpunkte:
- Trotz der Transparenz bleibt unklar, wie konkret die Fed auf ein gleichzeitiges Auftreten von hoher Inflation und steigender Arbeitslosigkeit reagieren würde.
- Die dramatische Zunahme struktureller Unsicherheit wird thematisiert, aber es fehlen klare Handlungsoptionen zur Bewältigung.
Fazit:
Jerome Powell liefert ein realistisches, ehrliches Bild der ökonomischen Lage. Seine Rede ist ein Appell an Politik und Wirtschaft, gemeinsam für mehr Berechenbarkeit und Stabilität zu sorgen – denn Geldpolitik allein kann die neuen Herausforderungen nicht bewältigen.