Prokrastination bezeichnet das willentliche, jedoch häufig irrationale Aufschieben oder Verzögern von Aufgaben, obwohl negative Konsequenzen zu erwarten sind. Der Begriff leitet sich vom lateinischen procrastinatio ab – bestehend aus pro („für, vor“) und cras („morgen“) – und meint somit wörtlich das „Verschieben auf morgen“. Im alltäglichen Sprachgebrauch spricht man auch von „Aufschieberitis“.
Im Kern handelt es sich bei Prokrastination nicht um einfache Faulheit oder Trägheit, sondern um ein komplexes psychologisches Phänomen. Betroffene Menschen vermeiden die Konfrontation mit unangenehmen, herausfordernden oder als überfordernd empfundenen Aufgaben, oft zugunsten kurzfristig angenehmer Tätigkeiten – wie dem Konsum digitaler Medien, der Beschäftigung mit Nebensächlichkeiten oder sogar anderen, weniger dringlichen Arbeiten. Diese kurzfristige Erleichterung geht allerdings mit langfristigem Stress, Schuldgefühlen und einem Verlust an Selbstwirksamkeit einher.
Psychologisch gesehen ist Prokrastination eng verknüpft mit Defiziten in der Emotionsregulation. Statt rational die Dringlichkeit einer Aufgabe zu erkennen, folgt der Mensch einem kurzfristigen Bedürfnis nach Entlastung. Besonders anfällig sind dabei Personen mit einem ausgeprägten Perfektionismus, Versagensängsten oder einem schwach entwickelten Selbstwertgefühl. Auch neuropsychologische Studien zeigen Zusammenhänge mit Störungen der exekutiven Funktionen – also jenen Fähigkeiten des Gehirns, die für Planung, Impulskontrolle und Zielverfolgung verantwortlich sind.
Prokrastination ist keineswegs ein Randphänomen der modernen Leistungsgesellschaft, sondern weit verbreitet – besonders unter Studierenden und Wissensarbeitern, deren Arbeitsstruktur hohe Selbstorganisation erfordert. Gesellschaftlich lässt sich Prokrastination zudem als Schattenseite des Selbstoptimierungsparadigmas deuten: Wer ständig unter Druck steht, effizient, kreativ und eigenverantwortlich zu handeln, neigt eher dazu, sich vor Aufgaben zu drücken, die das eigene Selbstbild als kompetent infrage stellen könnten.
Die bürgerlich-konservative Deutung des Phänomens neigt zur moralisierenden Interpretation: Prokrastination erscheint hier als ein Ausdruck von Disziplinlosigkeit oder fehlender Arbeitsmoral. Marktliberale Perspektiven hingegen sehen darin eher ein Steuerungsdefizit im individuellen Zeit- und Selbstmanagement – ein Problem, das durch Methoden wie die Pomodoro-Technik, Zielvereinbarungen oder kognitive Verhaltenstherapie lösbar sei.
Abschließend lässt sich festhalten: Prokrastination ist weder reine Willensschwäche noch bloßer Zeitmangel, sondern Ausdruck eines innerpsychischen Konflikts zwischen dem Anspruch zu handeln und dem Bedürfnis zu vermeiden. Ihre Überwindung setzt Einsicht, Struktur – und nicht selten psychologische Begleitung – voraus.