Repräsentationslücke Ostdeutschland – Bundesregierung erkennt Ungleichgewicht an, bleibt aber bei konkreten Maßnahmen zurückhaltend

Zusammenfassung der Bundestagsdrucksache 21/727: „Repräsentationslücke Ostdeutscher“

Die Bundestagsdrucksache 21/727 dokumentiert die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zur anhaltenden Unterrepräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen von Politik, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft.

Ausgangslage und Problembeschreibung
Die Fragesteller konstatieren, dass trotz rund 20 % Bevölkerungsanteil Ostdeutsche weiterhin unterproportional in Spitzenfunktionen vertreten sind – etwa mit nur 10,7 % in der Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz. Die Ursachen reichen zurück bis in die 1990er Jahre, als westdeutsche Eliten systematisch Führungspositionen im Osten besetzten (sog. „Elitentransfer“). Studien und Umfragen bestätigen bis heute ein Gefühl struktureller Benachteiligung bei der ostdeutschen Bevölkerung.

Zentrale Ergebnisse und Angaben der Bundesregierung

  1. Ministerien und Verwaltung
    • Der Anteil ostdeutsch geborener Abteilungsleitungen in Bundesministerien lag zum 12. Juni 2025 bei lediglich 9,8 %.
    • In Bundesbehörden mit Hauptsitz in Ostdeutschland sind rund 45,6 % der Beschäftigten ostdeutscher Herkunft – deutlich höher, aber immer noch unter dem regionalen Bevölkerungsanteil.
  2. Justiz und Wissenschaft
    • Alle Präsidentinnen und Präsidenten der sechs Bundesgerichte sowie des Bundesverfassungsgerichts stammen aus Westdeutschland.
    • Bundeshochschulen und Ressortforschungseinrichtungen werden ausschließlich von Westdeutschen geleitet.
  3. Bundesunternehmen und Institutionen
    • In Ostdeutschland ansässige Bundesunternehmen oder -einrichtungen werden in sieben Fällen von acht gebürtigen Ostdeutschen geleitet.
    • Der Bundesregierung liegen keine Daten zur regionalen Herkunft der Führungskräfte in DAX-Konzernen oder deren ostdeutschen Dependancen vor.
  4. Kulturelle und diplomatische Repräsentation
    • Nur 24 der 222 Leiter deutscher Auslandsvertretungen sind in Ostdeutschland geboren.
    • Von 150 Goethe-Instituten weltweit werden lediglich acht von Ostdeutschen geführt.
  5. Begabtenförderung und Teilhabeprogramme
    • Die Studienstiftung des deutschen Volkes bemüht sich um mehr Bewerbungen aus Ostdeutschland, mit leichtem Erfolg: 9,9 % der Neuaufnahmen 2024 stammen aus ostdeutschen Flächenländern.
    • Ein eigenständiges „Begabtenförderungswerk Ostdeutschland“ wird nicht eingerichtet, da es nach Auffassung der Bundesregierung in Länderkompetenz fällt.
  6. Strukturförderung
    • Maßnahmen wie die gezielte Ansiedlung von Bundesbehörden in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands werden fortgeführt. Ein entsprechender Kabinettsbeschluss aus dem Juni 2024 legt die Grundlage.
  7. Historische Aufarbeitung (Treuhand, DDR-Gesetze)
    • Eine erneute Bewertung der Treuhandpolitik erfolgt nicht. Das Bundesfinanzministerium verweist auf das abgeschlossene, vom Institut für Zeitgeschichte durchgeführte Forschungsprojekt zur Geschichte der Treuhandanstalt.
    • Auch eine Neubewertung der Gesetzgebung der DDR (Arbeits-, Familien- und Jugendrecht) ist nicht geplant. Die verfassungsrechtliche Integration sei mit dem Einigungsvertrag und nachfolgenden Kommissionen bereits abgeschlossen.

Kritische Einordnung

Die Antwort der Bundesregierung ist von abwägender Zurückhaltung geprägt. Sie liefert punktuelle Informationen, erkennt das Problem der Unterrepräsentation an, bleibt jedoch bei der Entwicklung konkreter Lösungsstrategien zögerlich. Eine strukturelle Reform der Förderpolitik wird mit Verweis auf Länderzuständigkeiten abgelehnt. Die Repräsentationslücke wird damit nicht als gesamtstaatliche Aufgabe verstanden, sondern als historisch erklärbare und organisatorisch fragmentierte Herausforderung.

Auch der Verweis auf Ansiedlungspolitik als Schlüsselmaßnahme greift zu kurz: Die Frage, wer Führungsverantwortung in diesen neuen Behörden übernimmt, wird nicht strategisch beantwortet. Kritikwürdig ist zudem die mangelnde Transparenz bei privatwirtschaftlichen Beteiligungen – etwa zur DAX-Repräsentation oder den ostdeutschen Beschäftigtenquoten großer Konzerne.

Fazit

Trotz punktueller Fortschritte bleibt die Repräsentationslücke ostdeutscher Bürgerinnen und Bürger in zentralen Führungspositionen bestehen. Die Bundesregierung erkennt dies an, entwickelt aber keine kohärente Strategie zur systematischen Schließung dieser Lücke. Die Antwort spiegelt damit eine passive Haltung wider, die strukturelle Disparitäten eher verwaltet als beseitigt. Ein eigenständiger, ostdeutsch geprägter Elitenaufbau im Sinne demokratischer Gleichwertigkeit bleibt aus Sicht der Fragesteller und auch angesichts der Datenlage eine offene Baustelle der gesamtdeutschen Einheit.


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