„Retter wider Willen“ – Die Grünen und ihr politischer Balanceakt in der neuen Oppositionsrolle

Ein Kommentar zur Lanz-Sendung vom 8. Mai 2025 über die neue Machtverteilung in Berlin – und das ungeahnte Selbstverständnis der Grünen.

Es war ein bemerkenswerter Satz, den die Grünen-Politikerin Brandner in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ am 8. Mai aussprach: „Und wir haben ja wieder, zum zweiten Mal, seit wir Opposition sind, Friedrich Merz gerettet, in dem wir gestern so zugestimmt haben. In dem wir einen zweiten Wahlgang gestern mit ermöglicht haben.“ Diese Aussage wirkt wie ein politischer Paukenschlag – und als gezielte Provokation. Denn sie dreht das Narrativ um: Nicht die CSU habe den Aufbruch geschafft, sondern die Grünen seien es gewesen, die der neuen Regierung buchstäblich den Weg frei gemacht hätten. Ein Akt politischer Reife – oder eine kalkulierte Inszenierung?

Vom Regierungstisch auf die Oppositionsbank – aber nicht ohne Einfluss

Die Grünen, eben noch Teil der Ampel-Koalition, finden sich nun auf den harten Bänken der Opposition wieder. Und doch präsentieren sie sich bei Lanz nicht als bloß Abgewählte, sondern als konstitutives Element des neuen politischen Betriebs. Ihre Zustimmung zur Wiederwahl von Friedrich Merz – einem ihrer schärfsten Kritiker – erscheint auf den ersten Blick paradox. Doch dahinter steckt eine Strategie, die auf demokratische Verantwortung, aber auch auf subtile Einflussnahme zielt. Die Grünen wollen demonstrieren: Wir sind nicht nur Gegenpart, wir sind Gewissen und Korrektiv.

Rhetorische Schärfe, politische Giftigkeit

Diese Haltung bringt sie in einen scharfen Konflikt mit der neuen Regierungspartei CSU. Besonders deutlich wird dies in der Debatte über politischen Stil und Sprachgebrauch. CSU-Mann Huber nennt das Angebot der Grünen „Ramschware“ – eine Formulierung, die Brandner entschieden zurückweist: „Ich finde, es wäre mal ein Moment wirklich ein bisschen mehr Demut… Vielleicht ist es auch mal richtig, miteinander in einem Ton umzugehen, dass nicht nur die Populisten davon gewinnen.“ In Zeiten, in denen die AfD in den Umfragen weiter zulegt, ist diese Mahnung mehr als bloße Rhetorik. Sie zielt auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem politischen Klima.

Der CSU fällt dabei auf die Füße, was sie im Aschermittwochs-Pathos für zulässig hält. Die Bezeichnung der ehemaligen Umweltministerin Steffi Lemke als „Margot Honecker“ ist selbst Parteiinternen wie Erwin Huber zu viel. Der Ton ist vergiftet, und genau darauf zielt Brandners Kritik ab: Polarisierung führt nicht zur Stärkung demokratischer Institutionen, sondern zur Verschiebung der Debatten in populistische Zonen.

Zwischen Kontinuität und Opportunismus: Die neue Regierung und ihre alten Feindbilder

Inhaltlich legen die Grünen den Finger auf eine besonders empfindliche Wunde: den Widerspruch zwischen dem, was die CSU jahrelang bekämpfte, und dem, was sie jetzt umsetzt. „Es kommt genau das Gleiche. 1 zu 1. Was vorher verteufelt wurde…“, so Brandner. Gemeint sind etwa die Investitionsprogramme, Steuererleichterungen im Strombereich oder die Förderung der E-Mobilität – alles Maßnahmen, die die Ampel einführte und die nun unter neuer Überschrift als „Investitionsbooster“ verkauft werden.

Hier konstruieren die Grünen ein Narrativ der inhaltlichen Kontinuität trotz politischem Wechsel. Sie stellen sich als eigentliche Architekten einer Politik dar, die nun – notgedrungen – von ihren Gegnern weitergeführt wird. Diese Re-Interpretation des Regierungshandelns ist mehr als politische Trotzigkeit. Es ist ein Versuch, die Deutungshoheit über das politische Geschehen zu behalten.

Energiepolitik: alte Fronten, neue Komplexität

Beim Thema Energiepolitik flammt der ideologische Konflikt in alter Schärfe auf. Die CSU kritisiert die Abschaltung der Atomkraftwerke, die Grünen verteidigen sie mit Verweis auf die überstandene Gaskrise und den Ausbau der LNG-Infrastruktur. Brandner verweist auf die konservative Mitverantwortung für die Abhängigkeit von russischem Gas: „Wir waren in einer Energiekrise aufgrund der Abhängigkeiten von russischem Gas, in denen uns Ihre konservativen Minister geführt haben.“

Die geplante Verdoppelung der Gaskraftwerkskapazitäten durch die neue Regierung wird von ihr als teure Planwirtschaft verurteilt. Innovation, so das grüne Argument, lässt sich nicht verordnen – schon gar nicht durch überdimensionierte Subventionen.

Migration, Forschung, Landwirtschaft – der Kulturkampf geht weiter

Auch auf anderen Feldern zeigen sich tiefe Gräben. In der Migrationspolitik wird die CSU von Brandner an ihre eigene Verantwortung für den Aufstieg der AfD erinnert. In der Forschungspolitik kontert sie großspurige CSU-Visionen vom „Silicon Valley Bayern“ mit Verweis auf konkrete Ampel-Projekte. In der Agrarpolitik schließlich wird der neue Ton besonders deutlich: Mit der Figur des „schwarzen Metzgers“ inszeniert die CSU den Bruch mit der „vergrünten“ Ernährungspolitik – ein populistisches Manöver, das mehr auf Identitätspolitik als auf Ernährungssicherheit zielt.

Das letzte Wort – und ein Appell

Am Ende der Diskussion bleibt der Eindruck, dass es in dieser neuen Legislatur nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um Deutungsmacht geht. Die Grünen sind bereit, Friedrich Merz zu unterstützen – aber nicht ohne gleichzeitig Anspruch auf moralische und politische Legitimität zu erheben. Sie stilisieren sich zum „Retter der Demokratie“ und zum wachen Mahner in einer zunehmend enthemmten politischen Arena.

Die CSU wiederum genießt den Triumph des Machtwechsels, zeigt aber erste Anzeichen jener inhaltlichen Selbstwidersprüche, die Regierungsverantwortung zwangsläufig mit sich bringt.

Was bleibt, ist die Einsicht, dass Demokratie nicht nur vom Wählen lebt, sondern auch vom Streit – möglichst auf Augenhöhe, möglichst mit Respekt. Genau daran mangelt es momentan auf vielen Ebenen. Vielleicht liegt darin die eigentliche Herausforderung dieser neuen politischen Konstellation.

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Ein Kommentar zur Lanz-Sendung vom 8. Mai 2025 über die neue Machtverteilung in Berlin – und das ungeahnte Selbstverständnis der Grünen.

Es war ein bemerkenswerter Satz, den die Grünen-Politikerin Brandner in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ am 8. Mai aussprach: „Und wir haben ja wieder, zum zweiten Mal, seit wir Opposition sind, Friedrich Merz gerettet, in dem wir gestern so zugestimmt haben. In dem wir einen zweiten Wahlgang gestern mit ermöglicht haben.“ Diese Aussage wirkt wie ein politischer Paukenschlag – und als gezielte Provokation. Denn sie dreht das Narrativ um: Nicht die CSU habe den Aufbruch geschafft, sondern die Grünen seien es gewesen, die der neuen Regierung buchstäblich den Weg frei gemacht hätten. Ein Akt politischer Reife – oder eine kalkulierte Inszenierung?

Vom Regierungstisch auf die Oppositionsbank – aber nicht ohne Einfluss

Die Grünen, eben noch Teil der Ampel-Koalition, finden sich nun auf den harten Bänken der Opposition wieder. Und doch präsentieren sie sich bei Lanz nicht als bloß Abgewählte, sondern als konstitutives Element des neuen politischen Betriebs. Ihre Zustimmung zur Wiederwahl von Friedrich Merz – einem ihrer schärfsten Kritiker – erscheint auf den ersten Blick paradox. Doch dahinter steckt eine Strategie, die auf demokratische Verantwortung, aber auch auf subtile Einflussnahme zielt. Die Grünen wollen demonstrieren: Wir sind nicht nur Gegenpart, wir sind Gewissen und Korrektiv.

Rhetorische Schärfe, politische Giftigkeit

Diese Haltung bringt sie in einen scharfen Konflikt mit der neuen Regierungspartei CSU. Besonders deutlich wird dies in der Debatte über politischen Stil und Sprachgebrauch. CSU-Mann Huber nennt das Angebot der Grünen „Ramschware“ – eine Formulierung, die Brandner entschieden zurückweist: „Ich finde, es wäre mal ein Moment wirklich ein bisschen mehr Demut… Vielleicht ist es auch mal richtig, miteinander in einem Ton umzugehen, dass nicht nur die Populisten davon gewinnen.“ In Zeiten, in denen die AfD in den Umfragen weiter zulegt, ist diese Mahnung mehr als bloße Rhetorik. Sie zielt auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem politischen Klima.

Der CSU fällt dabei auf die Füße, was sie im Aschermittwochs-Pathos für zulässig hält. Die Bezeichnung der ehemaligen Umweltministerin Steffi Lemke als „Margot Honecker“ ist selbst Parteiinternen wie Erwin Huber zu viel. Der Ton ist vergiftet, und genau darauf zielt Brandners Kritik ab: Polarisierung führt nicht zur Stärkung demokratischer Institutionen, sondern zur Verschiebung der Debatten in populistische Zonen.

Zwischen Kontinuität und Opportunismus: Die neue Regierung und ihre alten Feindbilder

Inhaltlich legen die Grünen den Finger auf eine besonders empfindliche Wunde: den Widerspruch zwischen dem, was die CSU jahrelang bekämpfte, und dem, was sie jetzt umsetzt. „Es kommt genau das Gleiche. 1 zu 1. Was vorher verteufelt wurde…“, so Brandner. Gemeint sind etwa die Investitionsprogramme, Steuererleichterungen im Strombereich oder die Förderung der E-Mobilität – alles Maßnahmen, die die Ampel einführte und die nun unter neuer Überschrift als „Investitionsbooster“ verkauft werden.

Hier konstruieren die Grünen ein Narrativ der inhaltlichen Kontinuität trotz politischem Wechsel. Sie stellen sich als eigentliche Architekten einer Politik dar, die nun – notgedrungen – von ihren Gegnern weitergeführt wird. Diese Re-Interpretation des Regierungshandelns ist mehr als politische Trotzigkeit. Es ist ein Versuch, die Deutungshoheit über das politische Geschehen zu behalten.

Energiepolitik: alte Fronten, neue Komplexität

Beim Thema Energiepolitik flammt der ideologische Konflikt in alter Schärfe auf. Die CSU kritisiert die Abschaltung der Atomkraftwerke, die Grünen verteidigen sie mit Verweis auf die überstandene Gaskrise und den Ausbau der LNG-Infrastruktur. Brandner verweist auf die konservative Mitverantwortung für die Abhängigkeit von russischem Gas: „Wir waren in einer Energiekrise aufgrund der Abhängigkeiten von russischem Gas, in denen uns Ihre konservativen Minister geführt haben.“

Die geplante Verdoppelung der Gaskraftwerkskapazitäten durch die neue Regierung wird von ihr als teure Planwirtschaft verurteilt. Innovation, so das grüne Argument, lässt sich nicht verordnen – schon gar nicht durch überdimensionierte Subventionen.

Migration, Forschung, Landwirtschaft – der Kulturkampf geht weiter

Auch auf anderen Feldern zeigen sich tiefe Gräben. In der Migrationspolitik wird die CSU von Brandner an ihre eigene Verantwortung für den Aufstieg der AfD erinnert. In der Forschungspolitik kontert sie großspurige CSU-Visionen vom „Silicon Valley Bayern“ mit Verweis auf konkrete Ampel-Projekte. In der Agrarpolitik schließlich wird der neue Ton besonders deutlich: Mit der Figur des „schwarzen Metzgers“ inszeniert die CSU den Bruch mit der „vergrünten“ Ernährungspolitik – ein populistisches Manöver, das mehr auf Identitätspolitik als auf Ernährungssicherheit zielt.

Das letzte Wort – und ein Appell

Am Ende der Diskussion bleibt der Eindruck, dass es in dieser neuen Legislatur nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um Deutungsmacht geht. Die Grünen sind bereit, Friedrich Merz zu unterstützen – aber nicht ohne gleichzeitig Anspruch auf moralische und politische Legitimität zu erheben. Sie stilisieren sich zum „Retter der Demokratie“ und zum wachen Mahner in einer zunehmend enthemmten politischen Arena.

Die CSU wiederum genießt den Triumph des Machtwechsels, zeigt aber erste Anzeichen jener inhaltlichen Selbstwidersprüche, die Regierungsverantwortung zwangsläufig mit sich bringt.

Was bleibt, ist die Einsicht, dass Demokratie nicht nur vom Wählen lebt, sondern auch vom Streit – möglichst auf Augenhöhe, möglichst mit Respekt. Genau daran mangelt es momentan auf vielen Ebenen. Vielleicht liegt darin die eigentliche Herausforderung dieser neuen politischen Konstellation.


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