Die vorliegende Unterlage ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Bodo Ramelow, Clara Bünger, Anne-Mieke Bremer, weiterer Abgeordneter sowie der Fraktion Die Linke (Drucksache 21/1129) im Deutschen Bundestag. Die Anfrage befasst sich mit der Rolle, Finanzierung und rechtlichen Stellung des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ), insbesondere im Zusammenhang mit der neu gegründeten Nathan Peter Levinson Stiftung, staatlichen Förderungen und Fragen zur religiösen Vielfalt innerhalb des deutschen Judentums.
Im Folgenden wird der Inhalt der Antwort der Bundesregierung ausführlich zusammengefasst:
Hintergrund der Anfrage
Anlass für die Anfrage war eine Aussage von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Juli 2025. Darin bezeichnete er den ZdJ als „gesellschaftliche, politische und religiöse Vertretung des deutschen Judentums“ und kündigte an, dass über die neu gegründete Nathan Peter Levinson Stiftung die Ausbildung liberaler Rabbiner an der Universität Potsdam sowie die Errichtung eines Militärrabbinats organisiert werden sollen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass es noch keine Kooperationsvereinbarung mit der Universität Potsdam gebe, aber bereits Planungen zur staatlichen Förderung der Stiftung laufen.
Dies wirft Fragen auf bezüglich:
- der Rechtmäßigkeit und Transparenz der Finanzierung,
- der Einhaltung bestehender Verträge zwischen Bund und ZdJ,
- der Anerkennung religiöser Vielfalt innerhalb des Judentums,
- und möglicher Benachteiligung anderer jüdischer Religionsgemeinschaften wie der Union progressiver Juden in Deutschland (UPJ).
1. Finanzierung der Nathan Peter Levinson Stiftung und Vertrag mit dem Zentralrat
Die Fragesteller weisen auf Artikel 6 Absatz 1 des Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland (vom 27. Januar 2003, zuletzt geändert 2023) hin, der besagt, dass der ZdJ über die vertraglich festgelegten Leistungen hinaus keine weiteren finanziellen Forderungen stellen darf.
Antwort der Bundesregierung:
- Diese Bestimmung schließt keine weiteren freiwilligen Förderungen durch den Bund aus.
- Die Regelung in Artikel 6 dient lediglich dazu, dass der ZdJ keine zusätzlichen Ansprüche geltend macht, nicht aber, dass der Staat keine zusätzlichen Zuwendungen gewähren dürfte.
- Die bisherige Förderung bestimmter Einrichtungen (wie Hochschule für Jüdische Studien oder Zentralarchiv) erfolgt bereits zusätzlich – dies diente der Klarstellung in Artikel 5.
- Die Finanzierung der Nathan Peter Levinson Stiftung würde nicht aus vertraglichen Leistungen, sondern aus freiwilligen Haushaltsmitteln erfolgen – also als institutionelle Zuwendung nach haushaltsrechtlichen Vorgaben, nicht als vertragliche Pflichtleistung.
- Es handelt sich somit um eine rechtlich unterschiedliche Grundlage als die im Staatsvertrag geregelten Zahlungen.
2. Rechtliche Grundlage der Mittel für die Nathan Peter Levinson Stiftung
Antwort:
- Die rechtliche Grundlage wäre das Haushaltsgesetz 2025, sobald es verabschiedet ist.
- Derzeit wird die Stiftung noch nicht aus Bundesmitteln gefördert.
- Die Förderung steht unter dem Vorbehalt der zuständigen zuwendungsrechtlichen Prüfungen.
- Es sind keine neuen Mittel im Haushalt eingestellt – vielmehr würde die Förderung aus bestehenden Programmen erfolgen.
- Wichtig: Es handelt sich nicht um eine Zuweisung an den Zentralrat selbst, sondern an eine eigenständige Stiftung.
- Der Zentralrat plant nach Kenntnis der Bundesregierung sogar eine eigene finanzielle Beteiligung an der Stiftung.
3. Anerkennung des Zentralrats als Religionsgemeinschaft
Die Fragesteller hinterfragen die Behauptung des ZdJ-Präsidenten, er sei „die religiöse Vertretung des deutschen Judentums“, und fragen nach einer förmlichen Anerkennung.
Antwort:
- In Deutschland gibt es kein förmliches Anerkennungsverfahren für Religionsgemeinschaften.
- Das Grundrecht auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) ermöglicht es, sich ohne staatliche Genehmigung zu einer Religionsgesellschaft zusammenzuschließen.
- Religionsgemeinschaften können unabhängig voneinander existieren und gelten auch ohne staatliche Anerkennung als solche.
- Der Zentralrat bedarf daher keiner formellen Anerkennung, um als Vertretung agieren zu können.
4. Rolle des Zentralrats gegenüber dem liberalen Judentum und der UPJ
Hier wird kritisch nachgefragt, ob der Zentralrat tatsächlich alle Denominationen repräsentiert, wenn er bei der Errichtung des Militärrabbinats zwar die Pluralität sicherstellen versprach, aber gleichzeitig die staatliche Förderung für liberale Rabbinerausbildung nun über eine eigene Stiftung lenkt – statt über das etablierte Abraham Geiger Kolleg, das zur UPJ gehört.
Antwort (gemeinsam zu 4a und 4b):
- Der Zentralrat sei nach eigenem Selbstverständnis für alle Strömungen offen, einschließlich des liberalen Judentums.
- Zahlreiche Gemeinden der Union progressiver Juden (UPJ) seien zugleich Mitglied im Zentralrat.
- Unter dem Dach des ZdJ wurde am 20. April 2023 der Jüdische liberale egalitäre Verband (JLEV) gegründet.
- In der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) des ZdJ sind auch Rabbiner*innen liberaler Gemeinden vertreten.
- Zudem leitet der Zentralrat jährlich einen Teil seiner vertraglichen Mittel an die UPJ weiter.
→ Die Bundesregierung sieht daher keine systematische Benachteiligung oder Vereinnahmung des liberalen Judentums.
5. Neuverteilung der Aufgaben zur Rabbinerausbildung
Die Fragesteller wollen wissen, ob ein Einverständnis zwischen UPJ, ZdJ und Bundesregierung darüber besteht, dass die staatliche Förderung für die Ausbildung liberaler Rabbiner künftig nicht mehr über das Abraham Geiger Kolleg, sondern über die Nathan Peter Levinson Stiftung läuft.
Antwort:
- Ein solches Einverständnis existiert nicht – und ist nach Auffassung der Bundesregierung auch nicht erforderlich.
- Der Staatsvertrag mit dem ZdJ legt keine konkreten Aufgaben fest, sondern überlässt es dem Zentralrat, welche Maßnahmen zur Erfüllung des Vertragszwecks (Förderung jüdischen Lebens, Integration etc.) geeignet sind.
- Der ZdJ entscheidet daher autonom, wie er seine Mittel und Projekte gestaltet.
- Eine formelle „Neuverteilung“ von Aufgaben braucht daher keinen neuen Vertrag oder Änderung.
6. & 7. Berücksichtigung rechtsprechungsgebundener Vorgaben (BVerwG und BVerfG)
Die Fragen beziehen sich auf zwei wichtige Urteile:
- Bundesverwaltungsgericht (2002): Eine liberale jüdische Gemeinde darf nicht von staatlichen Fördermitteln ausgeschlossen werden, nur weil sie nicht dem ZdJ angehört.
- Bundessverfassungsgericht (BVerfGE 123, 148 ff.): Der Staat darf keine Religionsgemeinschaft in eine Abhängigkeit von einer anderen bringen; jede eigenständige Denomination hat Anspruch auf angemessene Beteiligung.
Antwort (gemeinsam zu 6 und 7):
- Die Bundesregierung achtet die Rechtsprechung und stellt sicher, dass keine Religionsgemeinschaft benachteiligt wird.
- Die UPJ erhält seit mindestens 19 Jahren direkte staatliche Förderung durch das Bundesministerium des Innern – und zwar im Rahmen von Projektförderungen, die kontinuierlich steigen.
- Im Haushaltsentwurf 2025 sind für die UPJ bis zu 250.000 Euro vorgesehen (Einzelplan 06, Kapitel 0601, Titel 685 14).
- Damit wird sichergestellt, dass die UPJ nicht von der Förderung abhängig ist, die über den Zentralrat fließt.
Zusammenfassende Bewertung
Die Antwort der Bundesregierung verteidigt die geplante Förderung der Nathan Peter Levinson Stiftung als rechtlich zulässig und haushaltsrechtlich sauber, da sie auf freiwilliger Basis und außerhalb der vertraglichen Verpflichtungen erfolgt. Sie betont, dass der Zentralrat der Juden zwar eine zentrale Rolle spielt, aber keine exklusive Vertretungsmacht über alle jüdischen Gemeinden und Denominationen besitzt.
Gleichzeitig wird betont, dass die religiöse Pluralität im deutschen Judentum respektiert wird:
- Durch direkte Förderung der UPJ,
- Durch die Existenz eigenständiger Verbände unter und neben dem ZdJ,
- Und durch die Einhaltung verfassungsrechtlicher Grundsätze der Gleichbehandlung.
Trotzdem bleibt die Debatte über die zentralisierende Tendenz des Zentralrats und die Umleitung staatlicher Fördermittel über neue, enge Strukturen (wie die Stiftung) ein sensibles Thema – besonders vor dem Hintergrund historischer Befindlichkeiten und der Notwendigkeit, religiöse Autonomie und Vielfalt innerhalb des Judentums zu wahren.
Die Antwort zeigt, dass die Bundesregierung bemüht ist, sowohl die Bedeutung des Zentralrats anzuerkennen als auch sicherzustellen, dass andere jüdische Organisationen nicht marginalisiert werden. Ob diese Balance in der Praxis ausreichend ist, bleibt jedoch Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Diskussion.