Die Börsenweisheit „Sell in May and Go Away“ basiert auf der historischen Annahme, dass Aktien in den sechs Monaten von Mai bis Oktober schlechter abschneiden als in den Wintermonaten von November bis April. Diese Theorie wurde durch das Stock Trader’s Almanac populär, das herausfand, dass ein Wechsel von Aktien in Anleihen in den Sommermonaten seit 1950 verlässlichere Renditen mit geringerem Risiko ermöglicht hätte. Allerdings zeigen Analysen des S&P 500, dass diese Annahme nicht immer zutrifft. In den 1930er- und 1940er-Jahren waren die Sommermonate sogar ertragreicher als die Wintermonate.
Saisonale Schwankungen an den Aktienmärkten
Statistische Analysen belegen, dass sich Aktienmärkte über lange Zeiträume hinweg saisonal unterschiedlich entwickeln. Der S&P 500 erzielte zwischen 1990 und 2023 eine durchschnittliche Rendite von etwa 3 % in den Sommermonaten und 6,3 % in den Wintermonaten. Betrachtet man die Daten seit 1930, ergibt sich ein Unterschied von 3 % zu 4,5 %. Dennoch stellt sich die Frage, ob dieser saisonale Unterschied groß genug ist, um Anlagestrategien darauf aufzubauen. Denn trotz der schwächeren Sommermonate bieten diese im Vergleich zu anderen Anlageklassen noch immer attraktive Renditen.
Die Ursachen für diese saisonale Schwäche sind umstritten. Eine gängige Erklärung ist, dass während der Sommermonate viele Investoren in den Urlaub gehen und das Handelsvolumen sinkt. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu schlechteren Kursentwicklungen. Neben psychologischen Faktoren spielen auch institutionelle Einflüsse eine Rolle. Beispielsweise betreiben Fondsmanager gegen Ende des Geschäftsjahres im Oktober häufig „Window Dressing“, indem sie schwache Aktien verkaufen und gut gelaufene Titel ins Portfolio aufnehmen, was saisonale Preisschwankungen beeinflussen kann.
Kritik am „Sell in May“-Ansatz
Eine der größten Schwächen der Strategie ist, dass historische Muster keine verlässlichen Indikatoren für die Zukunft sind. Sobald ein Anlagemuster bekannt wird, versuchen Marktteilnehmer, es auszunutzen, wodurch es an Wirksamkeit verliert. Wäre die Theorie weit verbreitet, würden Anleger bereits im April verkaufen und im Oktober zurückkehren, wodurch sich der Effekt verschieben oder abschwächen würde.
Darüber hinaus führt der strikte Verkauf im Mai dazu, dass Investoren bedeutende Renditechancen verpassen könnten. In Jahren wie 2020 (+24 % Sommer- vs. -7,7 % Winterrendite) oder 2009 (+21,9 % Sommer- vs. -9,4 % Winterrendite) hätte die Anwendung der Strategie zu erheblichen Verlusten geführt. Hinzu kommen Kosten durch Handelsgebühren und Steuerbelastungen, die die potenziellen Vorteile weiter schmälern.
Eine alternative Strategie wäre, in den Sommermonaten defensivere Sektoren wie Gesundheits- und Konsumgüteraktien zu bevorzugen, während zyklische Branchen wie Technologie oder Industrie eher in den Wintermonaten überdurchschnittlich abschneiden. Ein entsprechender ETF, der diese Sektorenrotation umsetzt, konnte jedoch in den letzten Jahren nicht die Performance des breiten S&P 500 schlagen – bei gleichzeitig deutlich höheren Gebühren.
Zeit im Markt schlägt Markttiming
Langfristig zeigt sich, dass „Buy and Hold“ eine bessere Strategie ist als Market Timing. Eine Analyse von Charles Schwab verdeutlicht dies: Ein Investor, der über 20 Jahre hinweg jährlich 2.000 USD investierte, erzielte unabhängig vom Timing fast identische Renditen. Wer dagegen Geld in Cash hielt, lag deutlich zurück. Dies zeigt, dass es für die meisten Anleger vorteilhafter ist, kontinuierlich investiert zu bleiben, anstatt den Markt zu timen.
Empfehlung
Die Analyse zeigt, dass die Sommerperformance zwar im Durchschnitt schwächer ist, aber dennoch positiv bleibt und besser als viele Alternativen. Für die meisten Anleger ist eine Buy-and-Hold-Strategie über das ganze Jahr hinweg sinnvoller als Markt-Timing. Ein Beispiel von Charles Schwab verdeutlicht dies: Selbst mit schlechtem Timing erzielte eine 20-jährige Investition im S&P 500 (2003–2022) 112.292 USD, verglichen mit 43.948 USD in Barren – mit perfektem Timing wären es 138.044 USD gewesen. Die Daten unterstreichen, dass Zeit im Markt langfristig wichtiger ist als Timing des Marktes.
Bottom Line
Obwohl es statistische Belege für saisonale Muster gibt, ist die „Sell in May and Go Away“-Strategie kein zuverlässiger Ansatz für langfristige Investitionen. Die Unterschiede in der Performance zwischen Sommer- und Wintermonaten sind nicht konstant, und einzelne Jahre weichen stark vom Durchschnitt ab. Zudem verursachen häufige Umschichtungen Handelskosten und Steuerpflichten, die die Performance schmälern. Eine durchdachte Diversifikation und ein langfristiger Anlagehorizont sind meist die besseren Alternativen, um stabile Renditen zu erzielen.