Sind Mieten ein Hindernis für Wachstum und sozialer Zündstoff in deutschen Großstädten?

Das ifo-Gutachten „Mieten – Wachstumshemmnis und sozialer Sprengstoff in deutschen Großstädten?“ (Falck/Krause/Zamorski, 2025) untersucht, wie steigende Mieten in deutschen Städten zu sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Problemen führen. Die Analyse verbindet ökonomische Wachstumsfaktoren mit sozialpolitischen Folgen und mündet in politische Handlungsempfehlungen.

Zentrale Befunde und Argumentation:

  1. Wohnkosten als soziale Schlüsselfrage: Im Durchschnitt geben Haushalte 27,8 % ihres verfügbaren Einkommens für Miete aus, rund 1,5 Mio. Haushalte über 50 %. Die Haupttreiber sind Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum, Zuwanderung, kleinere Haushalte und steigender Wohnflächenverbrauch; das Wohnungsangebot reagiert träge wegen Baukosten, Zinsen, Flächenmangel und Bürokratie.
  2. Städte als Wachstumszentren: Agglomerationsvorteile schaffen Beschäftigung und Innovation. Zwischen 2013 – 2024 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den sieben größten Städten um rund 30 %, die Bevölkerung aber nur um 6 %. Das verschärft die Wohnraumknappheit.
  3. Polarisierung der Arbeitsmärkte: Hoch- und Niedriglohnberufe wachsen gleichzeitig, mittlere Tätigkeiten schrumpfen (Routine-biased Technological Change). In Metropolen steigt die Beschäftigung in IT-, Finanz- und personenbezogenen Diensten überdurchschnittlich, was die Nachfrage in allen Preissegmenten der Städte verstärkt.
  4. Auseinanderdriften der Mietsegmente:
    • Bestandsmieten (durch Kappungsgrenzen reguliert) stiegen 2013 – 2024 um 19 %.
    • Angebotsmieten (Neuverträge) stiegen im gleichen Zeitraum um 50 %, in den Top-7-Städten sogar um 75 %.
    • In Berlin verdoppelten sie sich, in München, Köln, Hamburg u. a. stiegen sie um 55 – 65 %.
      Folge ist eine deutliche Insider-Outsider-Struktur: alte Mieter mit günstigen Beständen vs. neue Mieter mit hohen Einstiegskosten.
  5. Mietbelastung und soziale Spaltung:
    • Im Bestand bleibt die Mietbelastung stabil (unteres Einkommensquartil ca. 38–42 %).
    • Bei Neuvermietungen steigt sie auf bis zu 50 % für das unterste Einkommensquartil.
    • Sozialleistungen (Wohngeld, Sozialwohnungen) dämpfen zwar, können aber die Dynamik der Neuvertragsmieten nicht ausgleichen.
  6. „Lock-in-Effekt“ und geringe Mobilität: Der wachsende Abstand zwischen alten und neuen Mieten hemmt Umzüge. Haushalte bleiben in unpassenden Wohnungen, was Flächen blockiert und die Knappheit verschärft. Die Binnenmobilität in Städten sinkt, der Wohnungsmarkt wird zur „Wohnungslotterie“.
  7. Neubaukrise: Nur 250 000 Neubauten 2024 (Ziel: 400 000). Hauptursachen sind explodierende Baukosten (ca. 7 000 €/m² mit Grundstück), lange Verfahren und Regulierungen. Neubau lohnt sich fast nur im Hochpreissegment, wodurch günstiger Wohnraum weiter fehlt.
  8. Makroökonomische Konsequenzen: Wohnraummangel behindert Arbeitskräftewanderung und Innovationspotenziale; er wird zum Wachstumshemmnis.

Fazit und Kritik:
Die Autoren betonen, dass Mietregulierungen zwar kurzfristig Mieter schützen, aber strukturell kontraproduktiv wirken: Sie dämpfen Investitionsanreize, zementieren Marktsegmente und verschärfen die soziale Spaltung. Entscheidend sei eine angebotsorientierte Wende: beschleunigtes Bauen („Bau-Turbo“), weniger Bürokratie, niedrigere Baukosten, mehr Bauland, Nachverdichtung, Umnutzung von Gewerbeflächen sowie steuerliche Anreize für effizientere Bestandsnutzung. Nur so lasse sich verhindern, dass Großstädte an ihrem eigenen wirtschaftlichen Erfolg ersticken.

Kritische Einordnung:
Der Bericht argumentiert stark aus einer marktliberal-ökonomischen Perspektive. Mietregulierungen werden überwiegend als Verzerrungen gesehen, obwohl sie kurzfristig soziale Stabilität sichern. Weniger beachtet bleibt, dass reine Angebotsausweitung bei gleichbleibend hoher Bodenspekulation und unzureichender Bodenpolitik nur begrenzt wirkt. Eine kritische Ergänzung wäre, stärker über gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft, Bodenfonds oder Genossenschaften nachzudenken, die langfristig preisdämpfend wirken könnten. Ebenso bleibt offen, wie sich ökologische und soziale Ziele im Neubaukontext miteinander vereinbaren lassen.

Kurzum: Das Papier zeigt überzeugend, dass Wohnraummangel zum wirtschaftlichen Problem geworden ist – doch die vorgeschlagenen Lösungswege bleiben überwiegend angebotsökonomisch, während strukturelle Fragen der Eigentums- und Bodenverteilung nur am Rande berührt werden.


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