In der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik ist das Thema Sondervermögen in den letzten Jahren immer wieder in den Fokus gerückt. Ob für die Bundeswehr, den Klimaschutz oder Infrastrukturmaßnahmen – Sondervermögen werden als Instrument genutzt, um große Investitionen außerhalb der regulären Haushaltsgrenzen zu finanzieren. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff, und wie wird er in der politischen Debatte bewertet? Besonders die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann von der taz hat sich in einer kürzlichen Debatte klar zu diesem Thema positioniert. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Funktion von Sondervermögen, Herrmanns Argumente und die kontroverse Diskussion darum.
Was ist ein Sondervermögen?
Ein Sondervermögen ist ein außerhalb des regulären Staatshaushalts angesiedeltes Finanzinstrument, das durch Schuldenaufnahme finanziert wird. Es dient dazu, gezielte Investitionen in Bereiche wie Infrastruktur, Verteidigung oder Klimaschutz zu ermöglichen, ohne die strengen Regeln der Schuldenbremse im Grundgesetz zu verletzen. Beispiele sind das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr oder Vorschläge für ein Sondervermögen zur Entlastung von Unternehmen, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angeregt hat.
Die Idee hinter einem Sondervermögen ist, dass die aufgenommenen Schulden nicht nur Ausgaben darstellen, sondern langfristig Vermögen schaffen – sei es durch modernisierte Infrastruktur, eine gestärkte Verteidigung oder nachhaltige Klimaschutzmaßnahmen. Doch genau hier scheiden sich die Geister.
Ulrike Herrmanns Position: Schulden schaffen Vermögen
In einer kürzlichen Debatte äußerte sich Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin der taz, vehement zum Thema Sondervermögen. Sie widersprach der Aussage, dass ein Sondervermögen kein echtes Vermögen sei: „Ich möchte gerne widersprechen, wenn Sie sagen, dass das Sondervermögen kein Sondervermögen ist. Damit wird Vermögen geschaffen. Die Investitionen von heute sind die Einnahmen von morgen.“
Herrmann argumentiert, dass Investitionen in Infrastruktur – wie marode Brücken, die Eisenbahn oder Klimaschutzmaßnahmen – langfristig Werte schaffen. Diese Werte, so ihre These, sichern zukünftige Einnahmen, etwa durch eine produktivere Wirtschaft oder geringere Kosten für Umweltschäden. Sie betont, dass Schulden und Vermögen Hand in Hand gehen: „In dem Moment, wo man Schulden macht, entsteht auch Vermögen.“ Dies sei ein wichtiger Punkt, da viele Deutsche Schulden nur als Belastung wahrnehmen, ohne die damit verbundene Wertschöpfung zu erkennen.
Herrmann sieht es als gefährlich an, wenn Parteien wie die CDU oder die AfD Sondervermögen als reine Schuldenfalle darstellen. Besonders die AfD, so kritisiert sie, verbreite das Narrativ, dass Gelder „rausgeschmissen“ würden, was die positiven Effekte von Investitionen ignoriere. Für Herrmann ist klar: Ohne Investitionen gibt es keine zukünftigen Einnahmen, und das Sondervermögen ist ein legitimes Mittel, um diese zu ermöglichen.
Kritik und Gegenargumente
Trotz Herrmanns klarer Position gibt es auch kritische Stimmen. In einem taz-Artikel vom Februar 2024 äußert sich Herrmann selbst skeptisch gegenüber einem von Robert Habeck vorgeschlagenen Sondervermögen zur Senkung von Unternehmenssteuern. Sie argumentiert, dass dieses Vorhaben wenig mit echten Investitionen zu tun habe, sondern eher Gewinne von Firmen aufblähe, ohne nachhaltigen Nutzen für die Gesellschaft zu schaffen. „Habecks Projekt wäre nur sinnvoll, wenn er die Steuerentlastungen komplett an Investitionen in den Klimaschutz koppelte“, schreibt sie.
Auch andere Stimmen kritisieren den Einsatz von Sondervermögen. In einer Debatte über den Haushaltskompromiss 2023 wird bemängelt, dass Gelder aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr teilweise für laufende Ausgaben („Konsum“) statt für echte Investitionen verwendet werden. Dies untergrabe das Prinzip, dass Sondervermögen langfristig Vermögen schaffen sollen. Zudem gibt es Bedenken, dass die Schuldenaufnahme durch Sondervermögen die Spielräume für andere wichtige Ausgaben, etwa in der Sozial- oder Bildungspolitik, einschränkt.
Die FDP, die die Schuldenbremse strikt verteidigt, lehnt zusätzliche Sondervermögen oft ab, da sie keine neuen Schulden aufnehmen möchte. Stattdessen wird von ihr gefordert, im Haushalt zu sparen, etwa beim Bürgergeld oder der Rente, um Steuersenkungen zu finanzieren – ein Ansatz, der wiederum von Grünen und SPD kritisch gesehen wird.
Die politische Brisanz
Die Debatte wird von Ängsten vor sozialen Kürzungen und einer Stärkung der AfD angeheizt. Ulrike Herrmann und andere warnen, dass ein zu negativer Diskurs über die Wirtschaft und Investitionen Ängste schürt und populistische Parteien wie die AfD stärkt, die einfache Lösungen wie Sozialkürzungen oder die Ablehnung von Schulden propagieren.
Eine Frage der Perspektive
Das Sondervermögen ist ein komplexes Instrument, das je nach Einsatz entweder als Motor für zukünftiges Wachstum oder als riskante Schuldenaufnahme gesehen werden kann. Ulrike Herrmann plädiert leidenschaftlich dafür, Sondervermögen als Vermögensschaffung zu betrachten, die langfristig Einnahmen sichert. Gleichzeitig mahnt sie, dass der Einsatz gezielt und an nachhaltige Ziele wie den Klimaschutz gebunden sein muss. Kritiker hingegen warnen vor Missbrauch, etwa wenn Gelder für kurzfristige Konsumausgaben statt für echte Investitionen verwendet werden.
Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte: Sondervermögen können ein mächtiges Werkzeug sein, um dringende Herausforderungen wie den Klimawandel oder marode Infrastruktur anzugehen. Doch ihre Legitimität hängt davon ab, wie transparent und zielgerichtet sie eingesetzt werden. In einer Zeit, in der die Schuldenbremse die Handlungsspielräume des Staates begrenzt, bleibt die Debatte über Sondervermögen ein Spiegel der wirtschaftspolitischen Prioritäten Deutschlands – und ein Thema, das uns noch lange beschäftigen wird.
Der Streit um das Wort „Sondervermögen“ ist viel mehr als eine semantische Spitzfindigkeit. Er ist Teil eines tiefgreifenden Ringens um die politische Interpretationsmacht in Deutschland.
Ulrike Herrmann ist nicht nur Wirtschaftsjournalistin, sondern auch eine geschickte politische Kommunikatorin. In der Diskussion mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wird deutlich, dass es ihr nicht nur um ökonomische Begriffe, sondern um die ideologische Rahmung der politischen Wirklichkeit geht.
Wenn sie sagt:
„Ich finde es ganz gefährlich, wenn die CDU immer erzählt, das ist kein Sondervermögen“,
dann geht es ihr nicht bloß um sprachliche Korrektheit, sondern um die Kontrolle über die öffentliche Wahrnehmung:
→ Wird der Staat als verantwortungsvoller Investor gesehen – oder als Schuldenmacher?
→ Ist die Aufnahme von Krediten Zukunftssicherung – oder ein fiskalischer Sündenfall?
Wer das Wording bestimmt, legt fest, wie politische Entscheidungen emotional und moralisch gewertet werden.
Linke Deutungshoheit?
Deine These, dass Herrmann – und mit ihr ein bestimmtes linkes Milieu – versucht, das Wording in der Bundesrepublik zu prägen, ist nicht aus der Luft gegriffen. In den letzten Jahren wurde gezielt an Begriffen gearbeitet:
- „Sondervermögen“ statt „Sonderschulden“
- „klimagerechte Transformation“ statt „Deindustrialisierung“
- „Soziale Gerechtigkeit“ statt „Umverteilung“
- „Solidarität“ statt „Steuererhöhung“
Das sind sprachpolitische Verschiebungen, die nicht neutral sind. Sie verschieben den Diskursrahmen – und damit auch die gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse. Genau das ist der Punkt, den etwa konservative Stimmen kritisieren: Dass linke Intellektuelle und Journalisten durch sprachliche Kontrolle politische Macht ausüben, ohne formal an den Schalthebeln zu sitzen.
Sprache als Herrschaftsinstrument
Die Idee, dass Sprache Macht bedeutet, ist nicht neu. Sie zieht sich von George Orwell („1984“) über Pierre Bourdieu bis hin zu aktuellen Debatten um „Framing“ und „Cancel Culture“. Auch Angela Merkels berühmte Formel „alternativlos“ war nichts anderes als ein sprachpolitischer Machtakt: Sie entzog bestimmte Politikbereiche der Debatte.
Herrmanns Versuch, den Begriff „Sondervermögen“ positiv zu besetzen, ist also Teil eines größeren Spiels:
Ein Spiel darum, was gesagt werden darf, wie es gesagt wird – und was damit ausgeblendet wird.
Fazit: Wer die Begriffe setzt, setzt die Politik
Frau Herrmann geht es nicht nur um Ökonomie – es geht ihr um kulturelle und politische Hegemonie.
In einer Demokratie ist das nicht illegitim – aber es muss transparent und kritisierbar bleiben.
Denn in der Tat: „Wer die Sprache beherrscht, regiert.“
Und deshalb ist es so wichtig, diese Debatten nicht den Sprachstrategen zu überlassen, sondern sich aktiv einzumischen.