Mit dem Antrag „Gerechtigkeitslücken im Steuersystem schließen, Steuerbetrug wirksam bekämpfen und Einnahmebasis des Staates stärken“ positioniert sich die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Juni 2025 als Vorkämpferin für eine tiefgreifende Steuerreform. Im Zentrum stehen Vorschläge zum Abbau von Schlupflöchern für große Vermögen und Unternehmen, zum konsequenten Vorgehen gegen Steuerbetrug sowie zur ökologischen Umgestaltung der Subventionslandschaft. Doch gerade angesichts der umfassenden Forderungen stellt sich eine naheliegende Frage: Warum bringen die Grünen diese Initiativen erst jetzt – nach dem Bruch der Ampelkoalition – und nicht während ihrer Regierungszeit als Teil der Bundesregierung auf den Weg?
Antrag „Gerechtigkeitslücken im Steuersystem schließen, Steuerbetrug wirksam bekämpfen und Einnahmebasis des Staates stärken“ (BT-Drs. 21/356, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 3. Juni 2025):
1. Ausgangslage und Kritik an der Bundesregierung:
Die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Kommunen, ist alarmierend – mit einem Rekorddefizit von 24,8 Mrd. Euro im Jahr 2024. Die Grünen kritisieren, dass die Bundesregierung mit dem „Investitionssofortprogramm“ steuerliche Entlastungen von 46 Mrd. Euro bis 2029 vorsieht, ohne Gegenfinanzierung. Besonders wird die geplante Körperschaftsteuersenkung als fiskalisch und sozial unverantwortlich eingestuft.
2. Forderung nach gerechterer Besteuerung:
Die Grünen schlagen vor, Steuergerechtigkeit herzustellen, um Einnahmen zu erhöhen, ohne die Mehrheit der Bevölkerung stärker zu belasten. Dabei verweisen sie auf Lücken im Steuerrecht, durch die Wohlhabende und große Unternehmen unverhältnismäßig profitieren. Konkret:
- Immobilienbesteuerung:
- Abschaffung der Spekulationsfrist bei privaten Immobilienverkäufen (potenziell +6 Mrd. Euro).
- Aufhebung der Gewerbesteuerfreiheit für Immobiliengesellschaften (sog. „erweiterte Grundstückskürzung“, +1,5 Mrd. Euro).
- Reform sog. „Share Deals“, um Grunderwerbsteuerumgehung zu beenden (+1 Mrd. Euro).
- Erbschaftsteuer:
- Abschaffung der Steuerbefreiung für Immobilienkonzerne mit über 300 Wohneinheiten (+1 Mrd. Euro).
- Aufhebung der Verschonungsbedarfsprüfung bei sehr großen Betriebsvermögen (>26 Mio. Euro), stattdessen flexible Stundung.
- Subventionen:
- Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen.
- Keine neuen Steuererleichterungen wie die geplante Mehrwertsteuersenkung für Gastronomie oder Agrardiesel.
3. Bekämpfung von Steuerbetrug:
Die Bundesregierung soll laut Antrag:
- Die Empfehlungen des Bundesrechnungshofs zur Schließung von Steuerschlupflöchern umsetzen (+30 Mrd. Euro Potenzial).
- Finanzverwaltung modernisieren, digitalisieren und besser ausstatten.
- Cum-Cum-Fälle (Schaden: 28,5 Mrd. Euro) effektiv verfolgen, u. a. durch längere Aufbewahrungsfristen für Finanzinstitute und bessere Nutzung von Prüfrechten.
- Umsatzsteuerbetrug (jährlich ca. 5 Mrd. Euro Schaden in Deutschland) konsequent bekämpfen – auch europäisch koordiniert.
4. Begründung und Zielsetzung:
Ziel ist es, das aus dem Grundgesetz abgeleitete Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Ein faires Steuersystem soll den sozialen Zusammenhalt stärken, das Vertrauen in staatliche Institutionen fördern und Mittel für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Soziales bereitstellen. Die Grünen argumentieren, dass strukturelle Ausnahmeregelungen im Steuerrecht nicht nur ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich schädlich sind.
Kritische Bewertung:
Der Antrag setzt einen deutlichen Kontrapunkt zur aktuellen Finanzpolitik der Bundesregierung. Er betont soziale Gerechtigkeit und fiskalische Nachhaltigkeit, lässt jedoch offen, wie politisch durchsetzbar eine umfassende Reform angesichts des föderalen Systems und der Widerstände aus bestimmten Wirtschafts- und Vermögenskreisen wäre. Der Fokus auf Mehreinnahmen durch Schließung bestehender Steuerlücken ist ökonomisch plausibel, birgt aber erhebliches Konfliktpotenzial. Auch der Verzicht auf kurzfristige steuerliche Entlastungen könnte politisch unpopulär sein, wenngleich er langfristig solide erscheint.