Die Drucksache 21/785 enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zur Frage, welche Lehren aus dem großflächigen Stromausfall am 28. April 2025 auf der iberischen Halbinsel für das deutsche Stromnetz zu ziehen sind. Der Blackout in Spanien und Portugal, bei dem auch Todesopfer zu beklagen waren, wird in der Vorbemerkung der Fragesteller auf die hohe Einspeisung volatiler erneuerbarer Energien zurückgeführt, die womöglich zu Netzinstabilitäten führten. Die AfD-Abgeordneten stellen in diesem Kontext die Systemresilienz angesichts zunehmender Dezentralität der Stromerzeugung in Frage.
Kernaussagen der Bundesregierung
- Analyse des Stromausfalls: Die Untersuchung des Vorfalls erfolgt durch ENTSO-E (Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber), unterstützt durch nationale Netzbetreiber und ACER. Deutschland ist über die Bundesnetzagentur und den Netzbetreiber Amprion in den Prozess eingebunden. Erste Ergebnisse sollen binnen sechs Monaten vorliegen.
- Vergangene Netzstörungen: Die Bundesregierung listet mehrere Systemtrennungen und großflächige Stromausfälle seit 2021 auf (u. a. in Polen, dem Balkan, Spanien/Frankreich). Diese unterstreichen die Notwendigkeit permanenter Analyse- und Anpassungsprozesse für Netzstabilität.
- Strategien zur Netzstabilität in Deutschland:
- Die „Roadmap Systemstabilität“ bildet den Fahrplan zur Sicherstellung eines robusten Netzbetriebs.
- Es existieren gesetzliche Verpflichtungen für Systemstabilitätsberichte.
- Der Netzausbau und stärkere Interkonnektoren sollen die Resilienz steigern.
- Systemdienstleistungen (wie Momentanreserve) werden über drei Säulen abgedeckt: Marktmechanismen, technische Standards und Netzbetriebsmittel.
- Bedeutung von Momentanreserve und Trägheit:
- Die Bundesregierung erkennt den Beitrag synchroner Maschinen zur Frequenzstabilität an, hält deren Rolle aber für technisch ersetzbar durch z. B. Großbatteriespeicher.
- Die Einführung marktgestützter Beschaffungsmechanismen für Momentanreserve ist in Vorbereitung (ab 2026).
- Großbatteriesysteme werden zunehmend an der Primärregelleistung beteiligt. Ihr Potenzial wird als hoch eingeschätzt, auch wenn sie derzeit nur über eine Kapazität von 2,8 GWh verfügen.
- Keine Rückkehr zur Dominanz großer Kraftwerke: Die Bundesregierung widerspricht der Annahme, dass wenige große Kraftwerke stabiler seien als viele kleine. Sie betont die Risiken großer Einzelfehlerquellen und lobt die Flexibilität vieler kleiner Anlagen, sofern diese regelbar und sichtbar sind.
- Sondermechanismen wie in Irland (SNSP, DS3): Die Bundesregierung hält derartige Grenzwertmechanismen für wenig übertragbar auf das kontinentaleuropäische Verbundnetz. Stattdessen sollen über technische Weiterentwicklungen zunehmend auch leistungselektronisch gekoppelte Anlagen netzstützende Eigenschaften übernehmen.
- Systemdienstleistungen und Marktintegration:
- Bereits heute existieren marktbasierte Vergütungen für Blindleistung, Momentanreserve und Schwarzstartfähigkeit.
- Weitere Dienstleistungen wie Kurzschlussstrom oder Inselbetriebsfähigkeit werden aktuell noch nicht marktlich beschafft, da dies derzeit als ineffizient gilt.
- Blackout-Szenarien und Vorsorge:
- Deutschland ist über ENTSO-E in ein gesamteuropäisches Risikomanagement eingebunden.
- Nationale Blackout-Szenarien und Präventionspläne sind Teil des veröffentlichten Risikovorsorgeplans des BMWK.
Kritische Bewertung
Die Antwort der Bundesregierung wirkt im Ton sachlich und technisch fundiert, sie verweist konsequent auf bestehende Prozesse und Strukturen zur Netzsicherheit. Gleichwohl wird deutlich, dass sich die Netzstabilität zunehmend auf technologische Neuerungen, wie Batteriespeicher und netzbildende Umrichter, stützen muss – ohne dass diese Technologien bislang in der Breite flächendeckend einsatzbereit wären. Zwar ist die Ablehnung einer Rückkehr zu zentralen Großkraftwerken energiewirtschaftlich nachvollziehbar, jedoch bleibt die Frage offen, ob die neuen dezentralen Systeme unter extremen Bedingungen eine vergleichbare Robustheit entfalten können.
Auch erscheint die Marktorientierung als Hebel zur Systemstabilisierung zwar modern und effizient gedacht, aber angesichts unklarer Preisentwicklungen für Momentanreserve und Primärregelung könnten erhebliche Kosten auf Endverbraucher zukommen, ohne dass die Bundesregierung diese konkret beziffern kann.
Nicht zuletzt wird zwar die Bedeutung netzbildender Eigenschaften anerkannt, doch scheint ihre praktische Umsetzung hinter den politischen Absichtserklärungen hinterherzuhinken – auch weil regulatorische Anpassungen in den Technischen Anschlussregeln noch in Entwicklung sind.
Fazit
Die Drucksache dokumentiert den Übergang Deutschlands zu einem digitalisierten, dezentralen Stromsystem mit erheblichem Regelungs- und Steuerungsbedarf. Die Bundesregierung setzt auf Marktmechanismen, technische Weiterentwicklung und europäische Integration. Ein grundlegendes Vertrauen in die Machbarkeit des Systemumbaus steht jedoch der realen Herausforderung gegenüber, dass Netzstabilität künftig durch ein komplexes und potenziell anfälliges Geflecht aus tausenden Komponenten gewährleistet werden muss. Zweifel an der Resilienz dieses Modells unter Krisenbedingungen sind damit nicht unbegründet.