Trump und Merz: Kalkulierte Nähe – und was sie für Europa bedeutet

Die jüngsten freundschaftlichen Gesten Donald Trumps gegenüber Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Giorgia Meloni wirken auf den ersten Blick wie harmlose Symbolpolitik. Doch eine genauere Betrachtung legt nahe, dass der ehemalige und nun wieder amtierende US-Präsident damit einer bewährten „Teile-und-Herrsche“-Logik folgt: Er sucht den direkten Draht zu einzelnen Staats- und Regierungschefs, um die Europäische Union als geschlossenen Verhandlungspartner zu schwächen. Diese These ist stichhaltig, bleibt aber unvollständig, solange drei zusätzliche Faktoren ignoriert werden: die innenpolitische Gemengelage in Washington, die gestiegene Resilienz der EU seit Trumps erster Amtszeit und die systemische Konkurrenz zu China. Erst das Zusammenspiel dieser Dimensionen zeigt, wie brüchig und zugleich gefährlich Trumps Charmeoffensive tatsächlich ist.

1. Innenpolitische Zwänge in den USA – Trumps Manövriermasse ist begrenzt
Trumps Affinität für bilaterale Abkommen speist sich nicht nur aus persönlicher Neigung, sondern auch aus dem Machtgefüge im US-Kongress. Ein signifikanter Teil der republikanischen Mehrheit sieht supranationale Institutionen als Souveränitätsfalle und blockiert multilaterale Verträge systematisch. Selbst ein machtbewusster Präsident muss diese Vetopunkte kalkulieren: Handelsabkommen, die EU-weit ratifiziert würden, ließen sich auf Capitol Hill kaum durchsetzen. Bilaterale Deals mit Deutschland oder Italien hingegen können als „Executive Agreements“ deklariert werden, die keiner Senatszustimmung bedürfen. Trumps Teilungsstrategie ist also nur vordergründig souveräner Wille; sie ist zugleich das Produkt innenpolitischer Blockaden. Das mindert nicht die Sprengkraft, zeigt jedoch, dass sein Handlungsspielraum weniger monarchisch ist, als es seine Rhetorik suggeriert.

2. Die EU ist kein Statist mehr – institutionelle Gegenmaßnahmen
Die Europäische Union hat die Lektionen der ersten Trump-Phase (2017 – 2021) verinnerlicht. Mit dem Anti-Coercion-Instrument, der Reform ihrer Zollunion und der „European Chips Act“-Agenda hat Brüssel Werkzeuge geschaffen, um externe Zwangsmaßnahmen kollektiv abzufedern. Darüber hinaus stockt die EU erstmals einen Verteidigungsindustrie-Fonds auf, der Aufträge von Rüstungsgütern an einen gemeinsamen Markt bindet. Diese Schritte verändern den Kosten-Nutzen-Kalkül nationaler Alleingänge: Ein bilateraler Deal, der beispielsweise deutschen Exporteuren kurzfristige Vorteile verschafft, könnte Zugriff auf EU-Fördertöpfe gefährden. Die „Spaltprämie“ sinkt, weil finanzielle und industriepolitische Anreize gegenläufig wirken. Trumps Strategie trifft also auf eine Union, die zwar weiterhin heterogen ist, aber ihr kollektives Drohpotenzial ausgebaut hat.

3. Der China-Faktor – strategische Triangulation statt simple Bipolarität
Seit 2022 hat sich das weltwirtschaftliche Schwergewicht Pekings weiter verfestigt. Für Brüssel bedeutet das: Jede einseitige Konzession an Washington kann durch die Option einer engeren Kooperation mit China politisch abgefedert – oder zumindest rhetorisch zur Verhandlungsmasse gemacht – werden. Umgekehrt nutzt Trump die Rivalität, um europäischen Regierungen Zusicherungen in Sicherheitsfragen anzubieten, wenn sie seiner energie- oder handelspolitischen Agenda folgen. Das Resultat ist eine permanente Triangulation: Europa balanciert zwischen zwei Großmächten, welche die inneren Differenzen der EU je nach Bedarf stimulieren oder disziplinieren. In dieser Konstellation ist Trumps Zuwendung zu Merz, Meloni oder Macron nicht bloß transatlantische Symbolik, sondern Teil eines globalen Kräftemessens, bei dem Europa gleichzeitig Spielball und Mitspieler ist.

Konkrete Implikationen für die drei adressierten Protagonisten

Friedrich Merz steht innenpolitisch unter Koalitions- und Parlamentszwang. Ein zu demonstratives Schulterschluss-Foto im Oval Office mag seine wirtschaftsliberale Klientel erfreuen, könnte aber das „wirtschaftsnationale“ Lager seiner Koalitionspartner verprellen. Zudem droht Brüssel mit dem Entzug von Resilienz-Geldern, sollte Berlin EU-Kompromisse unterlaufen. Merz muss daher mehr Rücksicht auf europäische Folgekosten nehmen, als Trumps Lobgesänge suggerieren.

Giorgia Meloni liefert Trump ideologische Anschlussfähigkeit, besitzt jedoch begrenzte fiskalische Manövrierräume. Italiens hohe Staatsverschuldung macht Rom abhängiger von der EZB und von EU-Haushaltslinien. Jeder bilaterale Handelspakt, der EU-Vorgaben konterkariert, erhöht das Risiko steigender Anleiherenditen – ein Preis, den Meloni innenpolitisch erklären müsste. Trumps Charme trifft hier auf ökonomische Realitäten, die seine Hebelwirkung einengen.

Emmanuel Macron hat beim Versuch, mit Trump persönliche Deals zu schließen, bereits 2018 die Grenzen der Transaktionslogik erfahren. Im Wahljahr 2027 wird er sich hüten, erneut als „Trump-Flüsterer“ in Frankreichs linksliberalem Milieu zu erscheinen. Seine Strategie dürfte daher weniger auf Einzeldeals und stärker auf den Ausbau der EU-Schutzmechanismen zielen, um Paris als Motor einer „souveränen“ Europa-Politik zu positionieren.

Schlussfolgerung – eine choreographierte, aber nicht allmächtige Spaltungstaktik
Trumps Avancen gegenüber einzelnen europäischen Staatschefs sind Teil einer langfristigen Agenda: Er will die EU nicht zerstören, sondern so fragmentieren, dass Washington in jedem Teilstück asymmetrische Dominanz ausspielen kann. Diese Strategie fußt jedoch auf US-innenpolitischen Beschränkungen, einer wachsenden EU-Resilienz und der Dreieckslogik mit China. Europas Antwort kann daher nicht allein moralisches Appellieren an Solidarität sein; sie muss strukturelle Anreize setzen, die nationale Abweichungen unattraktiv machen. Dazu gehören die Konditionierung von Beihilfen, eine gemeinsame Beschaffung kritischer Rohstoffe und die Fortentwicklung der Anti-Coercion-Regelungen. In diesem Geflecht entscheidet weniger die Rhetorik der „best buddies“, sondern die Frage, ob es Europa gelingt, die Kosten individueller Seitensprünge dauerhaft zu erhöhen und den Nutzen gemeinsamer Positionen sichtbar zu machen.


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