Ein Misstrauensvotum aus den USA
Fitchs Schritt, Frankreichs Bonität von AA− auf A+ mit stabilem Ausblick zu senken, ist mehr als eine technokratische Fußnote. Er ist ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierungsfähigkeit und der fiskalischen Ernsthaftigkeit eines Kernstaats der Eurozone. Die Agentur verweist explizit auf politische Instabilität und die fortgesetzte Unfähigkeit, einen tragfähigen Haushalt zu verabschieden – Symptome einer tiefen strukturellen Blockade, nicht bloßes Rauschen im Tagesgeschäft.
Vertrauensentzug auf den Kapitalmärkten
An den Kapitalmärkten hat sich diese Diagnose bereits in Preisen materialisiert. Die Rendite zehnjähriger OATs ist auf das Niveau Italiens geklettert, rund um 3,5 Prozent; die Spreads gegenüber Bundesanleihen weiteten sich merklich aus. Das ist kein “vorübergehender” Reputationskratzer, sondern ein kostspieliger Vertrauensentzug: Jeder Basispunkt mehr Zins frisst fiskalische Handlungsspielräume, verschlechtert die Schuldendynamik und erschwert künftige Konsolidierungsschritte – ein Mechanismus, der sich selbst verstärken kann.
Ein Defizit ohne Fehlertoleranz
Der fiskalische Befund ist ernüchternd. Mit einer Schuldenquote von knapp 114 Prozent des BIP und einem Defizit von 5,8 Prozent im Jahr 2024 rangiert Frankreich am unteren Ende der europäischen Soliditätsskala. Wer so startet, hat keine Fehlertoleranz: Schon moderate Konjunkturdellen oder Zinsanstiege treiben die Quote weiter nach oben und entziehen Investitionen in Zukunftsfähigkeit die Luft. Fitch hält es vor diesem Hintergrund für unrealistisch, dass das Defizit bis 2029 nachhaltig unter 3 Prozent fällt – auch dies verweist auf eine eklatante Lücke zwischen politischer Rhetorik und haushaltspolitischer Realität.
Reformunfähigkeit als politisches Grundproblem
Die politische Dimension verschärft die Lage. Der Rücktritt von Premier François Bayrou nach einer gescheiterten Vertrauensfrage dokumentiert die Erosion stabiler Mehrheiten; Fitch spricht von „wachsender Polarisierung“. Der neue Premier Sébastien Lecornu sucht einen Kompromiss für einen Sparhaushalt 2026 – ein richtiger Reflex, aber ohne harte Prioritätensetzung bleibt es Symbolpolitik. Bayrous Versuch, 44 Milliarden Euro einzusparen, scheiterte bereits an moderaten Eingriffen wie der Streichung zweier Feiertage; das illustriert, wie schwer es geworden ist, Gemeinwohl und Partikularinteressen in ein marktwirtschaftlich tragfähiges Verhältnis zu setzen.
Ordnungspolitische Konsequenzen
Was folgt daraus aus ordnungspolitischer Sicht? Erstens: Eine verbindliche Ausgabenregel mit mehrjährigem Pfad ist überfällig – nicht bloß Zielwerte, sondern harte, jährlich überprüfbare Obergrenzen für Primärausgaben. Ohne eine glaubwürdige Ausgabenbremse bleibt jede Konsolidierungsankündigung ein Papiertiger. Zweitens: Der Hebel liegt auf der Ausgabenseite. Steuererhöhungen würden Wachstum, Beschäftigung und Investitionsklima weiter schwächen, also das Fundament künftiger Tragfähigkeit. Notwendig sind klare Prioritäten: ein systematisches Ausmisten ineffizienter Subventionen, stärkere Zielgenauigkeit bei Sozialleistungen, ein Stopp der Ausgabenautomatiken sowie eine strikte Personal- und Pensionsdisziplin im öffentlichen Dienst.
Wachstum als fiskalische Politik mit Zeitverzögerung
Drittens: Wachstumsreformen sind fiskalische Politik mit Zeitverzögerung. Arbeitsangebot erhöhen, Regulierung vereinfachen, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, private Investitionen durch Planungssicherheit mobilisieren – das sind die unspektakulären, aber wirksamen Bausteine, die die Zinslast relativieren und die Schuldentragfähigkeit im Nenner stabilisieren. Viertens: Die Regierung braucht ein Vertrauenskapital, das nur durch institutionelle Verankerung entsteht. Ein gestärktes, politisch unabhängiges Fiskalaufsichtsgremium, regelmäßige Ausgabenaudits mit Veröffentlichungspflicht und eine „No bail-out“-Kommunikation gegenüber staatsnahen Akteuren würden die Erwartungsbildung an Märkten und in Verwaltung verändern. Ergänzend kann ein geordneter Privatisierungspfad – beginnend dort, wo kein hoheitlicher Kernauftrag besteht – Einmaleffekte zur Entschuldung mobilisieren und zugleich die Rolle des Staates auf das konzentrieren, was er gut leisten muss.
Frankreich als Risiko für die Eurozone
Für die Eurozone ist die französische Disziplinfrage kein Zuschauerproblem. Ein dauerhaft erhöhtes französisches Risikoprämienniveau verschiebt den Referenzpunkt für die gesamte Währungsunion. Wer die europäische Stabilitätsarchitektur ernst nimmt, muss erwarten, dass Paris die fiskalische Selbstverpflichtung nicht als Brüsseler Zumutung, sondern als nationale Notwendigkeit begreift. Gelingt die Kurswende, dürfte auch Fitch rasch bereit sein, den Vertrauensvorschuss zurückzugeben; misslingt sie, droht ein gradueller Souveränitätsverlust – nicht verordnet, sondern über den Preis des Geldes erzwungen. Die Herabstufung ist damit Mahnung und Chance zugleich: Ohne Ausgabenbremse keine Glaubwürdigkeit, ohne Glaubwürdigkeit kein günstiges Kapital, ohne günstiges Kapital kein politischer Spielraum. Das ist die einfache, aber harte Logik, der sich Paris jetzt stellen muss.