Unsere Demokratie™ – jetzt auch als Kampfbegriff erhältlich

Es gibt Worte, die wie wohlig-warme Wolldecken wirken sollen. „Unsere Demokratie“ gehört zweifellos dazu. Wer diesen Ausdruck ausspricht, legt sich in Sicherheit: Man klingt staatsmännisch, tugendhaft, unanfechtbar. Wer könnte schon gegen „unsere Demokratie“ sein? Doch wer genauer hinhört, merkt schnell: Hinter dem Begriff verbirgt sich nicht mehr nur die nüchterne Beschreibung einer gemeinsamen Staats- und Gesellschaftsform, sondern ein politisches Kampfwerkzeug.

In den Reden, Tweets und Wahlkampfreden der vergangenen Jahre ist „unsere Demokratie“ omnipräsent geworden. Mal beschwören SPD, Grüne oder Linke den Ausdruck, um den Aufstieg der AfD zu brandmarken. Mal verknüpfen CDU und CSU ihn mit dem Grundgesetz, den Westbindungen und der Abwehr politischer Extreme. Selbst die FDP hat gelegentlich versucht, die Formel ökonomisch aufzuladen: „Unsere Demokratie braucht Wachstum“, heißt es dann. Und die AfD wiederum kehrt das Ganze in ihr Gegenteil und behauptet, gerade die Regierung zerstöre „unsere Demokratie“.

So wird aus einer eigentlich neutralen Selbstverständlichkeit – wir leben nun einmal in einer parlamentarischen Demokratie – ein rhetorisches Allzweckmesser. Jeder darf es schwingen, jeder darf den Gegner in die Rolle des Bedrohers drängen. Das funktioniert nach dem alten Muster: Wer nicht für mich ist, ist gegen „unsere Demokratie“. Der Zauber liegt dabei in der suggestiven Aneignung. „Unsere“ klingt so inklusiv, fast brüderlich. Doch das „uns“ ist stets exklusiv definiert. Es meint die eigene Anhängerschaft, den eigenen Wertekreis, die eigene Interpretation. Wer draußen steht, gilt nicht als Mitbürger im Streit um Meinungen, sondern als Gefahr für das Ganze.

Die eigentliche Pointe ist: Mit diesem Sprachgebrauch wird das demokratische Prinzip selbst ausgehöhlt. Demokratie lebt von Dissens, nicht von sakraler Unantastbarkeit. Sie ist ein Verfahren, kein Dogma. Doch wer „unsere Demokratie“ mit bestimmten politischen Inhalten gleichsetzt – sei es mit Klimapolitik, Europäischer Integration oder mit marktwirtschaftlicher Freiheit – verengt das Spielfeld des Legitimen. Abweichung wird nicht mehr als Teil des Spiels betrachtet, sondern als Spielverderberei.

Die Linke instrumentalisiert den Begriff gerne moralisch: „Unsere Demokratie“ wird zum Schutzwall gegen Hass und Hetze erklärt. Das klingt edel, ist aber hochgefährlich, wenn Kritik an politischen Maßnahmen dadurch schnell in den Ruch des Undemokratischen gerät. Die Union hingegen benutzt die Formel wie eine Art Verfassungskatechismus: als ständige Erinnerung an Stabilität, Tradition und Staatsräson. Auch das hat eine Kehrseite, denn es lähmt die Debatte und immunisiert den Status quo. Die FDP wiederum verhält sich pragmatisch-technisch und tut so, als sei „unsere Demokratie“ eine Frage der Leistungsbilanzen. Und die AfD? Die macht aus dem Begriff eine Karikatur, indem sie behauptet, gerade die Verteidiger der Demokratie seien in Wahrheit deren Totengräber.

Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Denn die ständige inflationäre Beschwörung „unserer Demokratie“ führt zu einer paradoxen Situation: Je öfter sie bemüht wird, desto mehr verliert sie an Überzeugungskraft. Am Ende wirkt die Formel wie eine hohle Marke, eine Art politisches Logo mit ™-Zeichen dahinter. „Unsere Demokratie™ – jetzt auch im praktischen Wahlkampfformat.“

Ein funktionierendes Gemeinwesen braucht aber keine sprachliche Sakralisierung, sondern Vertrauen in die Verfahren: freie Wahlen, unabhängige Gerichte, offene Debatte. Wer „unsere Demokratie“ ernst nimmt, muss aushalten, dass auch unbequeme Positionen dazugehören. Es genügt nicht, das Wort auf Podien zu rufen wie einen Zauberspruch, um Gegner zu bannen. Denn die eigentliche Gefahr für Demokratie liegt nicht in lautstarken Populisten allein, sondern in der Versuchung, das Prinzip der offenen Auseinandersetzung durch moralische Immunisierung zu ersetzen.

Vielleicht sollten wir den Begriff eine Weile in Quarantäne schicken. Denn Demokratie braucht keine ständige Beschwörung, sondern gelebte Praxis. Wenn „unsere Demokratie“ tatsächlich uns allen gehört, dann sollten wir sie nicht länger als Waffe im politischen Dauergefecht missbrauchen, sondern als Spielfeld, auf dem Meinungsverschiedenheit nicht Bedrohung, sondern Normalität ist. Bis dahin bleibt das Gefühl, dass „unsere Demokratie“ vor allem eines ist: ein rhetorischer Zaun, an dem jeder sein eigenes Warnschild aufhängt.


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