„Deutschland ist ein rohstoffarmes Land.“ – dieser Satz ist politischer Dauerbrenner. Doch inmitten der Debatten um Versorgungssicherheit und den weltweiten „Atom-Renaissance“ rückt ein vergessenes Erz in den Fokus: Uran. Hunderttausende Tonnen wurden hierzulande einst gefördert, Tausende Tonnen liegen, zumindest geologisch, noch im Boden. Lohnt sich eine Rückkehr in den Uranbergbau – oder ist das bloß eine nostalgische Fußnote der Industriegeschichte?
Historischer Rückblick: Der Wismut-Boom
Zwischen 1946 und 1990 lieferte die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut insgesamt 216 300 t Uran an die Sowjetunion – damals ein Drittel des gesamten Ostblock-Bedarfs. Die DDR war zeitweise der viertgrößte Produzent der Welt. Mit der deutschen Einheit endeten Abbau und Aufbereitung; übrig blieben kilometerlange Stollen, Halden voller Rückstände und Sanierungskosten von inzwischen deutlich über fünf Milliarden Euro.
Was liegt noch im Boden?
Nach jüngster Einschätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) existieren in Deutschland noch rund 7 000 t Uran. Es handelt sich dabei um „technische Ressourcen“ – geologisch nachgewiesen, aber unter heutigen Markt-, Umwelt- und Genehmigungsbedingungen nicht rentabel. Selbst wenn alles wirtschaftlich gewinnbar wäre, entspräche das nicht einmal 18 Monaten des deutschen Stromverbrauchs (bei konventioneller Leichtwassertechnik).
Die größten Restvorkommen liegen im niedersächsischen Norddeutschen Becken, dazu kleinere Linsen im Oberrheingraben und in NRW. Dass aus „Vorkommen“ jedoch erst „Reserven“ werden, braucht drei Faktoren: Marktpreise, bergbautechnischen Fortschritt und gesellschaftliche Akzeptanz. Deutschland scheitert derzeit an allen drei.
Globaler Kontext: Der Uranmarkt zieht an
Weltweit wächst die Nachfrage: Laut Internationaler Energieagentur/NEA klettern die identifizierten wirtschaftlich gewinnbaren Reserven auf 7 934 500 t Uran. Gleichzeitig warnen die Agenturen, dass unter einem Hochlauf-Szenario neue Minen noch in diesem Jahrzehnt erschlossen werden müssen, sonst droht ab den 2080er-Jahren eine Versorgungslücke.
Die Preise spiegeln den Trend: TradeTech meldete im Herbst 2023 mit 73,50 US-$/lb das höchste Spot-Niveau seit 2008. Seither pendelt der Markt zwischen 60 und 90 US-$, zu wenig, um hochpreisige Projekte in Europa zu rechtfertigen – aber genug, um in Kasachstan, Kanada oder Namibia expansionsfähig zu bleiben.
Wirtschaftliche Hürden eines deutschen Comebacks
Deutschland | Internationale Konkurrenz (Bsp. Kanada) | |
---|---|---|
Erzgehalte | meist < 0,1 % U | bis 20 % U |
Tiefenlage | häufig > 500 m | oft Tagebau oder flach (<200 m) |
Lohn-/Umweltkosten | sehr hoch | deutlich niedriger |
Genehmigungsrisiko | extrem hoch | moderat |
Die niedrigen Gehalte erzwingen aufwendige Untertage- oder In-Situ-Laugungsverfahren, die in sensiblen Grundwasserhorizonten politisch kaum vermittelbar sind. Selbst wenn der Spotpreis dauerhaft über 100 US-$/lb läge, bliebe fraglich, ob Investoren in einem Land ohne aktive Kernkraftwerke Milliarden in eine neue Mine stecken.
Technologische Nischen: Aufbereitung von Halden & Tailings
Einzig realistische Option wäre die Rückgewinnung von Resturan aus Wismut-Halden (Tailings) mittels moderner Kreislaufverfahren. Frankreichs Orano fährt solche Pilotanlagen in Limousin, Kanada in Elliot Lake. Doch auch hier gilt: niedriger Ertrag, hoher Aufwand, radiologisches Langzeitmonitoring.
Politik & Infrastruktur: Paradoxon einer nuklearfreien Nation
Obwohl Deutschland 2023 alle Reaktoren abgeschaltet hat, betreibt es weiter:
- die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau,
- die Brennelementefabrik Lingen, die künftig sogar Brennstoff für Reaktoren osteuropäischer Bauart (VVER-1200) liefern könnte – in Kooperation mit Rosatom-Töchtern, was in Berlin und Brüssel sicherheitspolitische Debatten auslöst.
Damit bleibt Deutschland Teil der globalen Nuklear-Wertschöpfung, ohne selbst Kernstrom zu erzeugen – ein Anachronismus, der im Falle einer „Renaissance“ plötzlich neue politische Fragen stellt: Dürfte ein Land, das Uran verarbeitet, den eigenen Besitz der Ressource komplett ignorieren?
Ökologische Altlasten & gesellschaftliche Akzeptanz
Wismut-Sanierung ist bis heute Deutschlands größtes Umwelt-Ewigkeitsprojekt. Radon, Schwermetalle und saure Grubenwässer lasten auf Kommunen in Sachsen und Thüringen. Diese Legacy-Kosten sind für Anwohner und Politik stete Mahnung: Wer Uran holt, kauft strahlende Langzeitverpflichtungen.
Fazit – Rohstoff ja, Reserve nein
Deutschland besitzt Uran – geologisch. Wirtschaftlich ist der Schatz eine Fata Morgana: zu tief, zu arm, zu teuer und gesellschaftlich kaum durchsetzbar. Selbst ein globaler Preishype würde andere Lagerstätten zuerst rentabel machen. Sinnvoll erscheint eher, vorhandene nukleare Infrastruktur (Forschung, Brennstofftechnik, Entsorgungs-Know-how) zu pflegen – und gleichzeitig die Altlasten des historischen Bergbaus konsequent zu beseitigen.
Die Behauptung „Deutschland hat keine Rohstoffe“ bleibt also pauschal falsch; doch der Satz „Deutschland hat abbauwürdige Uranreserven“ ist – Stand 2025 – nicht haltbar. Wer ihn dennoch propagiert, muss zeigen, wie sich unter realen Markt-, Umwelt- und Genehmigungsbedingungen eine Mine zwischen Nordsee und Erzgebirge rechnen soll. Bis dahin dürfte deutsche Energiepolitik andere Baustellen haben.