US-Unternehmen auf Rekordkurs – doch Fundament bleibt fragil
Die Wall Street präsentiert sich selbstbewusst: Für das dritte Quartal 2025 prognostiziert der MAC Desk der New York Stock Exchange ein Gewinnplus von rund acht Prozent im S&P 500 – die neunte aufeinanderfolgende Steigerung. Noch beeindruckender ist, dass die Analysten zum ersten Mal seit Ende 2021 ihre Erwartungen während des laufenden Quartals nach oben angepasst haben. Die Unternehmen scheinen den geopolitischen und wirtschaftspolitischen Gegenwind erstaunlich gut zu manövrieren. Doch ein genauerer Blick offenbart, dass Stabilität derzeit vor allem auf politischem Rückenwind, bilanzieller Kosmetik und selektivem Branchenwachstum beruht.
Ein künstlich beruhigtes Umfeld
Der Aufschwung im dritten Quartal basiert auf einem Gleichklang von fiskalischem und monetärem Stimulus. Nach monatelangen politischen Spannungen verabschiedete die US-Regierung das „One Big Beautiful Bill Act“ (OBBBA) – ein Maßnahmenpaket, das Steuersenkungen verlängert, industrielle Investitionen subventioniert und eine Reihe von kreditfinanzierten Infrastrukturprogrammen enthält. Parallel dazu hat die Federal Reserve unter dem Druck des Weißen Hauses die Zinswende eingeleitet. Das Zusammenspiel aus billigem Geld und fiskalischem Impuls hat die Finanzmärkte in eine Art künstlich beruhigten Zustand versetzt: Die Volatilität ist niedrig, das Vertrauen hoch – und die Bewertungen so ambitioniert wie selten. Der S&P 500 notiert aktuell bei rund dem 25-Fachen der erwarteten Jahresgewinne.
Stark dank Technologie, schwach im Unterbau
Den Löwenanteil am Gewinnwachstum trägt erneut die Technologiebranche. Der Sektor profitiert von massiven Investitionen in Künstliche Intelligenz und Infrastruktur. Unternehmen wie Nvidia, TSMC oder OpenAI stehen im Mittelpunkt einer Kapitaldynamik, die der Bericht selbst als „zirkulär“ bezeichnet: Partner investieren in Partner, ohne dass kurzfristig neue Wertschöpfung entsteht. Das weckt Erinnerungen an die späten 1990er-Jahre, als die Euphorie über das Internet in eine spekulative Überhitzung mündete. Der Unterschied: Damals fehlte die reale Basis – heute ist sie vorhanden, aber hochkonzentriert. Die Gefahr besteht weniger in einem abrupten Crash als in einer graduellen Erosion der Bewertungsglaubwürdigkeit.
Konsum stabilisiert, doch Ungleichgewicht wächst
Die Konsumdaten bleiben robust, was die Großbanken in ihren Ausblicken bestätigen. JPMorgan und Wells Fargo sprechen von einer „anhaltend gesunden Ausgabentätigkeit“ der privaten Haushalte. Allerdings verschiebt sich die Last: Während wohlhabendere Konsumenten weiter konsumieren, zeigen sich bei unteren Einkommensschichten erste Ermüdungserscheinungen. Die Inflation wirkt nach, und höhere Finanzierungskosten treffen genau jene Gruppen, die in den vergangenen Jahren den Aufschwung getragen haben.
Finanzsektor: robuste Gewinne, schwelende Risiken
Im Finanzsektor stützen Kapitalmarktgeschäfte und Investmentbanking die Gewinne. Die großen Häuser profitieren vom regen Emissionsgeschehen, während regionale Institute mit Kreditrisiken kämpfen. Die jüngsten Insolvenzen im Subprime-Autokreditsegment (Tricolor) und in der Zulieferindustrie (First Brands) bleiben zwar isolierte Fälle, haben aber das Bewusstsein für die Verwundbarkeit des Schattenbankensektors geschärft. Positiv: Die Kreditspreads im Hochzinssegment haben sich zwar leicht ausgeweitet, bleiben aber historisch niedrig – ein Zeichen, dass die Märkte den systemischen Stress bisher ausblenden.
Kapitaldisziplin oder Euphorie?
Die Rückführung von Kapital an Aktionäre bleibt ein zentrales Thema. Aktienrückkäufe und Dividenden sollen laut S&P-Analyst Howard Silverblatt im zweiten Halbjahr 2025 neue Rekordwerte erreichen. Auf den ersten Blick ist das Ausdruck von Vertrauen und Bilanzstärke. Auf den zweiten Blick spiegelt es jedoch auch die Schwierigkeit wider, reale Wachstumschancen zu finden. Die größten 20 Konzerne zeichnen für mehr als die Hälfte aller Rückkäufe verantwortlich – eine Konzentration, die den Markt zunehmend auf wenige Schwergewichte stützt.
Kritische Bilanz: Stabilität mit Ablaufdatum
Die Autoren Reinking und Criscuolo betonen die „steady hand“ amerikanischer Unternehmenslenker – und tatsächlich zeigt die operative Anpassungsfähigkeit der US-Konzerne nach Jahren des Wandels beachtliche Kontinuität. Doch die strukturelle Basis dieses Erfolgs bleibt brüchig:
- Die fiskalische Expansion ist kreditfinanziert und trifft auf eine sinkende Produktivität außerhalb des Technologiesektors.
- Die lockere Geldpolitik mindert zwar die Refinanzierungskosten, fördert aber auch Bewertungsblasen.
- Die KI-Investitionswelle ist real, aber ungleich verteilt und von Selbstverstärkungseffekten geprägt.
- Der Konsum stabilisiert, doch die Ungleichverteilung der Einkommen birgt politische Risiken.
Fazit:
Die Q3-Vorschau liest sich wie eine Erfolgsgeschichte – und in gewisser Hinsicht ist sie das. Doch der Triumph basiert auf einem System, das auf immer höheren Dosen politischer und geldpolitischer Stimulanz angewiesen ist. Die amerikanischen Unternehmen beweisen erneut ihre Anpassungsfähigkeit, aber auch ihre Abhängigkeit von einem Umfeld, das keine Fehler verzeiht. Die vielzitierte „Steady Hand“ der Manager wird sich erst bewähren müssen, wenn die Politik die Stützräder entfernt.