Der Frugalismus galt lange als aufstrebende Gegenbewegung zur konsumistischen Überflussgesellschaft. Junge Berufstätige, gut ausgebildet und digital affin, verkündeten stolz ihre Pläne, mit 35 in Rente zu gehen, durch radikales Sparen, minimalistische Lebensführung und einen fast stoisch anmutenden Rückzug aus der Welt der Kaufverlockungen. Die Prämisse war klar: Wer wenig braucht, ist schneller frei. Doch während das Ideal der finanziellen Unabhängigkeit weiterhin fasziniert, beginnt sich der Weg dorthin fundamental zu wandeln. An die Stelle der Enthaltsamkeit tritt nun ein neues Leitbild: das der finanziellen Automatisierung gepaart mit hedonistisch-informierter Lebensgestaltung.
Der Frugalismus basierte – in bester protestantisch-bürgerlicher Tradition – auf Disziplin, Selbstbeschränkung und langfristigem Denken. Seine Tugenden sind ehrbar, aber seine Methoden häufig lebensfremd. Denn Verzicht, der dauerhaft durch Willenskraft gestützt werden muss, ist in der modernen Aufmerksamkeitsökonomie ein schwaches Bollwerk. Die neue Strömung – vertreten durch Autoren wie Ramit Sethi oder Konzepte wie „Automatisiertes Finanzmanagement“ – setzt stattdessen auf psychologische Effizienz: Nicht das Entsagen, sondern das Systematisieren wird zur zentralen Praxis.
Die Prämisse ist radikal anders: Menschen sind keine disziplinierten Mönche, sondern fehlbare, träge Wesen mit begrenzter Entscheidungsenergie. Anstatt also jeden Tag aufs Neue zwischen Latte Macchiato und Aktienfonds zu hadern, wird ein einmal eingerichtetes Finanzsystem installiert. Daueraufträge lenken automatisch Einkommensanteile in Spar-, Anlage- und Konsumkonten. Fixkosten, Investitionen und Rücklagen werden ohne menschliches Zutun bedient. Was übrig bleibt, darf ohne Schuldgefühl verausgabt werden – für Dinge, die dem Einzelnen wirklich Freude bereiten.
Es ist ein hedonistischeres Menschenbild, das hier am Werk ist – nicht im Sinne zielloser Genusssucht, sondern im Sinne einer anerkannten Bedürfnisstruktur, die eingebunden wird, anstatt sie zu bekämpfen. Es geht nicht darum, das Leben in der Gegenwart zu verneinen, um in der Zukunft frei zu sein. Vielmehr wird die Freiheit bereits heute organisiert – durch Struktur, Automatisierung und bewusste Priorisierung.
Das bedeutet keineswegs das Ende konservativer Finanztugenden. Im Gegenteil: Die neue Strategie ist in ihrer Konsequenz fast preußisch. Sparsamkeit wird nicht abgeschafft, sondern effizient gemacht. Ordnung, Maß und Selbstverantwortung werden nicht verworfen, sondern operationalisiert. Doch im Unterschied zur frugalistischen Orthodoxie erlaubt der neue Ansatz das, was in der bürgerlichen Lebenskunst stets als Ziel galt: das gute Leben im Diesseits, nicht im Jenseits eines kargen Ruhestands.
Dieser neue Weg ist dabei nicht nur psychologisch tragfähiger, sondern auch sozial inklusiver. Während der klassische Frugalismus vielfach nur für kinderlose Akademiker mit hohem Einkommen praktikabel war, eröffnet der automatisierte Ansatz auch mittleren Einkommensschichten eine realistische Chance auf finanziellen Fortschritt – nicht durch Enthaltsamkeit, sondern durch Klarheit und Technik.
Die Schlussfolgerung ist klar: Der moderne Umgang mit Geld ist kein Verzichtsprogramm mehr, sondern ein Ordnungsprinzip für ein genussvolles, planvolles Leben. Der Frugalismus war eine notwendige Provokation, aber er war nicht das Ziel. Das Ziel ist finanzielle Mündigkeit – nicht als Entsagungsideologie, sondern als Gestaltungsfreiheit. Wer das begreift, wird nicht weniger sparen – aber mit mehr Freude.