Robert Habeck, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und einstige Hoffnungsträger der Grünen, sondiert derzeit neue akademische Horizonte. Ein Gastdozentenposten an der University of California, Berkeley steht zur Debatte – gemeinsam mit der renommierten Ökonomin und Wirtschaftsweisen Ulrike Malmendier soll er eine Vorlesungsreihe zum Thema „Krisen“ gestalten. Was auf den ersten Blick nach einer intellektuellen Ehrenrunde klingt, wirft bei näherer Betrachtung unbequeme Fragen auf: Ist dies der Beginn einer systematischen „Versilberung“ politischer Reputation? Und folgt Habeck dabei nicht dem längst etablierten Muster eines Joschka Fischer?
Ein Rückzug im Deckmantel der Wissenschaft
Der Zeitpunkt könnte kaum symbolträchtiger sein. Nur wenige Monate nach seinem Rücktritt aus dem Kabinett, ohne formell aus dem Bundestag ausgeschieden zu sein, steht Habeck offenbar bereit, seine politische Biografie in akademischen Glanz zu kleiden. Dass er dies ausgerechnet an einer US-Eliteuniversität tun möchte, wirkt fast wie ein choreografiertes Ritual der westlich-liberalen Entsühnung: Vom Krisenmanager zum Krisenerklärer, vom Regulierer zum Dozenten.
Dabei fällt auf, wie diskret der Übergang orchestriert wird. Die Universitätsleitung hat Habeck laut Medienberichten bereits intern angekündigt, eine finale Entscheidung stehe jedoch noch aus. Er selbst zeigt sich erfreut über das Interesse der kalifornischen Hochschule – ein Kalkül, das auf beiderseitigen Imagegewinn abzuzielen scheint.
Das grüne Déjà-vu: Joschka Fischer lässt grüßen
Wer sich an Joschka Fischers Karriere nach 2005 erinnert, erlebt nun ein Déjà-vu. Auch er verabschiedete sich nach Jahren als Vizekanzler und Außenminister von der aktiven Regierungsarbeit und tauchte wenig später an der Woodrow Wilson School in Princeton auf. Der „Straßenkämpfer“ der Grünen mutierte zum Professor der internationalen Beziehungen – eine Transformation, die ihm im Feuilleton viel Bewunderung, im politischen Raum aber auch erhebliches Misstrauen einbrachte.
Wenig später gründete Fischer eine Beratungsfirma, beriet Konzerne wie RWE und OMV, und bewegte sich zunehmend in jenen transnationalen Machtzirkeln, die er einst bekämpft hatte. Der Vorwurf: moralische Selbstverleugnung zugunsten von Einfluss und Einkommen. Seine Parteikarriere diente als Türöffner, seine Glaubwürdigkeit als Kapital.
Habecks Balanceakt: Selbstvermarktung oder Bildungsauftrag?
Robert Habeck steht nun an einem ähnlichen Scheideweg. Seine Position als Bundestagsabgeordneter lässt ihm formal Spielraum, um Gastvorlesungen zu halten. Doch die Symbolik ist unübersehbar: Ein Minister, der selbst durch Energiekrisen, Rezessionsängste und Industrieproteste politisch entzaubert wurde, vermarktet nun eben diese Krisenerfahrung als intellektuelles Kapital.
Gewiss, Bildungstransfer ist ein legitimer Anspruch – und niemand zweifelt daran, dass Habeck rhetorisch wie analytisch in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge verständlich zu vermitteln. Doch mit dem Nimbus des Dozenten steigt zugleich der Verdacht, dass hier nicht nur Lehre betrieben, sondern auch politisches Kapital umgewandelt wird – in Einfluss, Reputation, möglicherweise auch in künftige Beratungsmandate.
Grüne Lehren – oder grüne Vergessen?
Was bedeutet dieser Schritt für die Grünen? Die Partei, die einst gegen Lobbyismus, Machtkonzentration und elitäre Netzwerke antrat, sieht sich erneut mit der Frage konfrontiert, wie sie den politischen Aufstieg ihrer Ikonen mit der moralischen Grundierung ihrer Ideale vereinbaren will. Dass ein Ex-Minister der Grünen sich – wie Fischer einst – in transatlantischen Elitezirkeln etabliert, mag strategisch klug sein. Doch es offenbart auch eine schleichende Erosion des eigenen Anspruchs, Politik als Dienst und nicht als Aufstiegsetappe zu begreifen.
Fazit: Der Preis des Prestige
Robert Habeck könnte in Berkeley kluge Gedanken zu globalen Krisen äußern. Doch das akademische Forum ist zugleich Bühne einer leisen Entpolitisierung: Die komplexe Realität deutscher Energiepolitik, die Verantwortung für getroffene Entscheidungen, die Kritik aus Wirtschaft und Gesellschaft – all das lässt sich an der Tafel analytisch ordnen, aber nicht entschulden.
So bleibt die Frage, ob Habeck sich wirklich bildungsbürgerlich „zurückzieht“ – oder ob er, wie Joschka Fischer vor ihm, einen stillen Kurswechsel vollzieht: weg vom Gestalten, hin zum Erklären; weg vom Dienen, hin zum Deuten. Wer politisches Kapital in akademisches Prestige verwandelt, zahlt einen Preis – den der Glaubwürdigkeit.
Die Grünen haben die Politik gemacht, für die sie von Amerika bezahlt wurden.