Am 16. Mai 2025 stellte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung die zentralen Leitlinien seines innenpolitischen Regierungsprogramms vor. Wer sich von dieser Rede sachliche Differenzierung oder innovative Sicherheitskonzepte erhofft hatte, wurde enttäuscht. Stattdessen dominierte ein Mix aus martialischer Rhetorik, altbekannter Law-and-Order-Politik und einer migrationspolitischen Kehrtwende, die mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert.
Ein dankbares Thema: Sicherheit als Konsenszone
Der Einstieg Dobrindts war geschickt gewählt: Lob für die Polizei, Respekt für Sicherheitskräfte, persönliche Besuche an der Grenze. Sicherheit ist ein politischer Dauerbrenner, bei dem kaum jemand gegen hält. Doch Dobrindts Rede lässt an zentraler Stelle Tiefe vermissen. Der immer wieder beschworene „maximale Rückhalt“ für Polizei und Nachrichtendienste ersetzt die dringend notwendige Debatte über rechtsstaatliche Ausgewogenheit, Kontrollinstanzen und Fehlerkultur. Gerade nach den zahlreichen Skandalen rund um rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Polizei wäre eine differenziertere Betrachtung angebracht gewesen. Die pauschale Ablehnung jeglichen „Generalverdachts“ gegenüber den Behörden ist populär – sie ignoriert jedoch strukturelle Probleme, die der Staat nicht durch demonstratives Schulterklopfen lösen kann.
IP-Adressen und Überwachung: Technokratie statt Grundrechtsschutz
Dobrindts Forderung nach der Speicherung von IP-Adressen – als vermeintlich letztem Hebel gegen Straflosigkeit – ist nicht neu, aber umstritten. Dass der Minister hier von „systematischer Straflosigkeit“ spricht, grenzt an Alarmismus. Die juristische und datenschutzrechtliche Problematik, die der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach adressiert hat, blendet er weitgehend aus. Dasselbe gilt für die geplante Ausweitung der Quellen-TKÜ. Was als „Werkzeugkasten“ bezeichnet wird, ist in Wahrheit ein weiterer Vorstoß zur schleichenden Ausweitung staatlicher Überwachung. Der Nutzen bleibt unklar, die Risiken für Freiheitsrechte jedoch massiv.
Migrationspolitik als Spaltungsinstrument
Den Kern seiner Rede bildete jedoch die Migrationspolitik – und hier wurde Dobrindt besonders deutlich. Mit der Ankündigung einer „Migrationswende“, der Rücknahme humanitärer Schutzmaßnahmen und der Forderung nach Abschiebungen in Länder wie Afghanistan und Syrien, bedient der Innenminister nicht nur ein konservatives Publikum. Er positioniert die neue Bundesregierung offen gegen zentrale Werte der bisherigen Flüchtlingspolitik. Dabei stilisiert er Migration zur sicherheitspolitischen Bedrohung – als Wurzel politischer Instabilität. Es ist ein bewusster Framing-Versuch: Migration nicht als strukturelles oder soziales Phänomen zu diskutieren, sondern als Risiko, das es zu kontrollieren gelte. Dass die Überlastung der Kommunen real ist, bezweifelt niemand. Aber wer daraus eine nahezu monokausale Bedrohungslage konstruiert, betreibt nichts anderes als Polarisierung mit staatlichem Siegel.
Statt Ursachenbekämpfung: populistische Reizpunkte
Von der „Express-Einbürgerung“ über die Einschränkung des Familiennachzugs bis hin zum faktischen Aussetzen freiwilliger Aufnahmeprogramme: Dobrindt liefert eine Liste migrationspolitischer Reizpunkte, die sich nahtlos ins Narrativ rechter Debatten verschieben lassen. Dass Integration nicht über Abschreckung funktioniert, bleibt ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass viele dieser Maßnahmen rechtlich hochproblematisch sind. Besonders problematisch: Die Ankündigung, erneut nach Afghanistan abschieben zu wollen, obwohl die Sicherheitslage dort katastrophal ist und Deutschland kaum diplomatische Kanäle hat. Wer das dennoch fordert, sucht nicht nach Lösungen – sondern nach Schlagzeilen.
Ein Angebot zur Zusammenarbeit – mit vergiftetem Unterton
Auch das Angebot zur Zusammenarbeit an SPD, CDU und sogar die Grünen war kaum mehr als ein rhetorisches Feigenblatt. Während Dobrindt in Richtung Union und Sozialdemokraten noch diplomatische Töne anschlug, war sein Frontalangriff auf die Grünen inhaltlich und stilistisch deplatziert. Die Schuld an gesellschaftlicher Spaltung pauschal einer Partei zuzuschieben, untergräbt das Ziel, Polarisierung zurückzudrängen. Es macht die Rede letztlich zu dem, was sie vorgibt, zu bekämpfen: einem Beitrag zur Verhärtung des politischen Diskurses.
Fazit: Mehr Polarisierung als Perspektive
Alexander Dobrindts Rede war ein politisches Signal – aber kein konstruktives. Statt differenzierter Innenpolitik lieferte er ein ideologisches Manifest, das Sicherheit mit Kontrolle und Migration mit Bedrohung gleichsetzt. Die große Linie: Härte zeigen, Misstrauen gegen Schwache schüren und komplexe Probleme in einfache Lösungen pressen. In Zeiten wachsender gesellschaftlicher Verunsicherung wäre das Gegenteil notwendig: Besonnenheit, Differenzierung und Dialog. Dobrindt hat sich für den lauteren, einfacheren Weg entschieden – ob er Deutschland damit wirklich sicherer macht, ist mehr als fraglich.