Die US-Börsen eilen von Rekord zu Rekord, doch die jüngsten Daten und Analysen mahnen zur Vorsicht. Zwar ist es notorisch schwierig, den Wendepunkt eines Marktzyklus exakt zu bestimmen, doch verdichten sich die Hinweise, dass zwei tragende Säulen des aktuellen Aufschwungs bröckeln: die Widerstandskraft der US-Wirtschaft und der Enthusiasmus rund um Künstliche Intelligenz. Wer marktwirtschaftlich denkt, sollte nüchtern anerkennen, dass Euphorie und Liquidität keine dauerhaften Fundamentaldaten ersetzen.
Erstens: Die Arbeitsmarktzahlen, lange als Beleg für die Stärke der US-Konjunktur angeführt, haben jüngst erhebliche Risse gezeigt. Nachträgliche Revisionen ergaben, dass in den vergangenen zwölf Monaten rund 911.000 weniger Stellen entstanden sind als zunächst gemeldet. Damit fällt die monatliche Beschäftigungsdynamik um beinahe die Hälfte geringer aus als gedacht. Dies ist kein triviales Detail, sondern ein ernstes Signal. Denn die Beschäftigung ist nicht nur Indikator der wirtschaftlichen Aktivität, sondern auch Quelle von Konsumnachfrage, Kreditwürdigkeit und fiskalischer Stabilität. Wer den amerikanischen Konsummotor als gegeben hinnimmt, verkennt die Fragilität des Systems.
Hinzu kommt: Die offizielle Arbeitslosenquote vermittelt ein zu positives Bild. Viele Personen sind aus der Erwerbsstatistik gefallen, weil sie entmutigt die Arbeitssuche aufgegeben haben. Diese stille Reserve drückt die wahre Unterauslastung am Arbeitsmarkt in die Höhe. Gleichzeitig zeigen Immobilienmarkt und zyklische Branchen Schwächetendenzen. Wer die Vereinigten Staaten als Garant für konjunkturelle Stabilität sieht, sollte genauer hinsehen: Eine Verlangsamung ist längst im Gang.
Zweitens: Die große KI-Euphorie, die seit 2023 als Wachstumsmotor gefeiert wird, trägt nicht unendlich. Natürlich handelt es sich bei der Entwicklung lernender Systeme um einen tiefgreifenden technologischen Trend. Doch selbst strukturelle Megathemen sind nicht immun gegen konjunkturelle Zyklen. Die größten Technologiekonzerne – Alphabet, Meta, Microsoft, Amazon – erzielen einen erheblichen Teil ihrer Erlöse aus Werbung. Diese hängt unmittelbar von der Konsumneigung ab. Sollte der Konsum abkühlen, trifft es zuerst die Werbebudgets – und damit jene Hyperscaler, deren Aktien derzeit den S&P 500 dominieren.
Die Dimensionen sind gewaltig: KI-nahe Techwerte machen inzwischen rund ein Drittel der Marktkapitalisierung des Leitindex aus. Ein Rückgang in diesem Segment hätte also unmittelbare Vermögenseffekte, die wiederum Konsum und Investitionen dämpfen würden. Ein klassischer Rückkopplungseffekt, wie er in Übertreibungsphasen immer wieder zu beobachten war. Dass die Investitionen in Rechenzentren und Infrastruktur weiterlaufen, ist unbestritten – doch die Börsenkurse könnten schon lange vor der Fertigstellung dieser Kapazitäten korrigieren. Anleger neigen bekanntlich dazu, künftige Gewinne vorwegzunehmen und ebenso überzogen zu bestrafen, wenn sich Erwartungen nicht erfüllen.
Die historische Erfahrung lehrt, dass Marktkorrekturen selten an einem einzelnen Auslöser hängen. 1987 war es die Kombination aus steigenden Zinsen, Handelsdefizit und politischen Vorstößen. 1998 trafen die Märkte gleichzeitig Hedgefondspleiten, Asienkrise und russischer Zahlungsausfall. 2000 war nicht nur die Dotcom-Bewertung entscheidend, sondern auch die restriktivere Geldpolitik und ein sprunghaftes Ansteigen des Aktienangebots. Stets gilt: Es ist die Kumulation der Risikofaktoren, die das Fass zum Überlaufen bringt.
Übertragen auf die Gegenwart ergibt sich ein ähnliches Muster. Eine US-Wirtschaft, die sich weniger robust präsentiert, gepaart mit einem Hype-Sektor, der empfindlich auf Konsumrückgänge reagiert, bietet reichlich Sprengstoff. Der makroökonomische Kontext – steigende Staatsverschuldung, angespannte geopolitische Lage, restriktive Zentralbanken – verstärkt die Unsicherheiten zusätzlich.
Anleger sollten daraus zwei Schlüsse ziehen. Erstens: Die Börse ist kein perpetuum mobile. Wertschöpfung entsteht in der Realwirtschaft, nicht im Hoffnungshandel. Sobald die realen Grundlagen erodieren, fallen auch die Bewertungen. Zweitens: Disziplin ist ein konservatives Gebot. Wer den eigenen Portfoliomix anpasst, nicht blind Trends hinterherläuft und Liquiditätsreserven pflegt, ist gegen Turbulenzen besser gewappnet.
Fazit: Niemand kann den Tag des nächsten Einbruchs vorhersagen. Aber die Indizien sprechen dafür, dass die Märkte auf dünnem Eis laufen. Anleger, die in marktwirtschaftlicher Tradition Chancen und Risiken abwägen, sollten die Warnsignale ernst nehmen. Euphorie war noch nie ein dauerhafter Ersatz für solide Fundamentaldaten. In dieser Einsicht liegt die Stärke langfristigen Vermögensaufbaus.