Ein Plädoyer für Geduld, Disziplin – und ein bisschen Selbstschutz
Stell dir vor, dein größter Feind beim Investieren schaut dir jeden Morgen aus dem Spiegel entgegen. Nein, nicht die Nachrichten über die Notenbank, nicht der nächste Crash in Fernost, nicht die Volatilität an den Märkten. Sondern du selbst – mit deinen Emotionen, deiner Ungeduld, deiner Angst, etwas zu verpassen oder im falschen Moment alles zu verlieren.
Klingt dramatisch? Vielleicht. Aber es ist genau das, was Verhaltensökonomen und Finanzpsychologen seit Jahren beobachten: Die größte Hürde für nachhaltigen Anlageerfolg ist nicht der Markt – sondern der Mensch.
Die „toten“ Investoren: Helden der Rendite?
Eine oft zitierte Geschichte unter Investmentprofis: Die besten Portfolios in einem bestimmten Untersuchungszeitraum gehörten entweder verstorbenen oder vergessenen Anlegern. Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Investments nie angefasst haben. Keine hektischen Umschichtungen, keine Panikverkäufe, keine FOMO-Käufe in der Krypto-Euphorie. Einfach: kaufen, halten, durchhalten.
So absurd das klingt – es ist mehr als nur ein Mythos. Daten bestätigen regelmäßig, dass Anleger mit einer Buy-and-Hold-Strategie im Schnitt besser abschneiden als jene, die aktiv handeln. Warum? Weil Letztere häufig genau dann verkaufen, wenn es am wenigsten sinnvoll ist – und dann wieder kaufen, wenn der Markt heiß läuft.
Zahlen, die wachrütteln sollten
- Laut DALBAR lag der durchschnittliche Aktieninvestor im Jahr 2023 ganze 5,5 Prozentpunkte hinter dem S&P 500 zurück. Grund: emotionales Fehlverhalten.
- Morningstar zeigt: In den letzten zehn Jahren erzielten Fonds im Schnitt 7,3 % Rendite, ihre Anleger aber nur 6,3 % – weil sie zu oft rein- und rausgesprungen sind.
- Wer zwischen 2005 und 2024 im S&P 500 investiert war, erzielte im Schnitt 10,4 % p.a.. Verpasste man nur die 10 besten Tage, halbierte sich die Rendite. Bei 20 verpassten Tagen: fast nur noch ein Drittel des Ertrags.
Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: Timing kills. Time heals.
Warum wir so ticken – und was das mit der Savanne zu tun hat
Warum handeln Menschen so irrational? Die Antwort liegt tief in unserer Biologie. Unsere Vorfahren mussten in Sekunden Entscheidungen treffen, um auf der Savanne zu überleben. Gefahren ausblenden oder abwarten war keine Option. Dieses Erbe wirkt noch heute – etwa, wenn der Markt um zehn Prozent fällt und der Fluchtreflex einsetzt. Wir wissen, dass es langfristig meist wieder aufwärtsgeht. Aber unser Gehirn schreit: „Rette dein Geld! Jetzt!“
Diese „fight or flight“-Reaktion ist evolutionär sinnvoll, aber an der Börse katastrophal. Auch das Herdenverhalten – also das Kaufen, nur weil „alle“ kaufen – ist biologisch tief verankert. Es fühlt sich sicher an, im Strom zu schwimmen. Nur: An der Börse ist Sicherheit oft teuer erkauft.
Was tun? Strategien gegen uns selbst
Natürlich bedeutet „Buy and Hold“ nicht, einfach nichts zu tun. Es geht vielmehr um strukturiertes, diszipliniertes Nichtstun:
- Rebalancing: Ab und zu die Gewichtung im Portfolio prüfen und gegebenenfalls justieren.
- Automatisierung: Sparpläne, Target-Date-Fonds oder Robo-Advisors nehmen uns Entscheidungen ab – und damit oft auch Fehler.
- Routinen etablieren: Monatlich investieren, ohne groß nachzudenken. So nutzt man Marktschwankungen automatisch zu seinem Vorteil.
- Informationsdiät: Weniger Finanznachrichten = weniger Panik = besseres Verhalten.
Oder, wie es Morningstar-Analyst Jeffrey Ptak zusammenfasst:
„Weniger ist mehr.“
Fazit: Investiere gegen deinen Instinkt
Der Markt ist volatil, die Welt komplex – und genau deshalb ist es so wichtig, emotionalen Abstand zu gewinnen. Nicht zu reagieren, ist oft das Beste, was du deinem Depot antun kannst. Die wahren Renditekiller sind nicht die Crashs oder Bärenmärkte – sondern Emotionen, Impulse und Aktionismus.
Also: Wenn du das nächste Mal den Drang verspürst, alles zu verkaufen oder hektisch umzuschichten, erinnere dich an die „toten Investoren“. Und frag dich ehrlich:
Würde mein zukünftiges Ich mich dafür danken – oder verfluchen?