Warum die syrischen Flüchtlinge in Deutschland bleiben

Der Sturz von Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 markierte einen historischen Wendepunkt für Syrien. Die neue Regierung unter Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) versprach Stabilität und Wiederaufbau, was in Deutschland und Europa sofort Spekulationen über eine Welle der Rückkehrer anheizte. Politiker wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) forderten rasche Abschiebungen und betonten, dass Syrien nun sicher genug sei. Doch neun Monate später, im September 2025, zeigt die Realität ein anderes Bild: Die Mehrheit der rund 955.000 syrischen Staatsangehörigen in Deutschland kehrt nicht zurück. Trotz eines leichten Anstiegs der Rückkehrerzahlen bleibt die Bewegung minimal – und das aus guten Gründen. Diese Entwicklung wirft ein kritisches Licht auf die deutsche Migrationspolitik, die zwischen humanitären Verpflichtungen und populistischen Forderungen hin- und hergerissen ist.

Zunächst die harten Zahlen: Seit dem Regimewechsel haben nur wenige Syrer Deutschland mit staatlicher Förderung verlassen. Bis Ende August 2025 sind 1.867 Personen mit Bundeshilfe ausgereist, im Vergleich zu 804 bis Ende Mai – ein Anstieg, der jedoch absolut gesehen „relativ gering“ bleibt. Insgesamt haben im ersten Halbjahr 2025 etwa 4.000 syrische Staatsangehörige das Land verlassen, davon die Mehrheit ohne Förderung. Das sind lächerliche 0,4 Prozent der syrischen Community in Deutschland. Der Abstieg der Gesamtzahl auf knapp 955.000 Ende Juli – 20.000 weniger als zu Jahresbeginn – ist zudem nicht primär auf Rückreisen zurückzuführen. Stattdessen spielen Einbürgerungen eine entscheidende Rolle: Im Jahr 2024 erhielten 83.150 vormals syrische Staatsangehörige die deutsche Staatsbürgerschaft, ein Rekordhoch. Viele der 2015 und 2016 Geflüchteten erfüllen nun die Kriterien: Sie haben ihren Lebensunterhalt gesichert, Deutsch gelernt und sich integriert. Diese Zahlen unterstreichen, wie erfolgreich die Integration in Deutschland verlaufen ist – und wie illusorisch es ist, eine Massenrückkehr zu erwarten.

Im Kontrast dazu dominieren Rückkehrer aus den Nachbarländern die Statistiken. Laut UNHCR-Schätzungen sind bis Februar 2025 insgesamt 280.000 syrische Flüchtlinge aus Ländern wie Türkei, Libanon, Jordanien und Irak zurückgekehrt, eine Zahl, die bis August 2025 auf etwa 850.000 anstieg. Besonders die Türkei, die rund 2,9 Millionen Syrer beherbergt, verzeichnete einen Boom: Über 25.000 Personen kehrten in den ersten 15 Tagen nach dem Sturz zurück, ein siebenfacher Anstieg zu den Vorjahren. Eine türkische Quelle spricht sogar von 1,19 Millionen Rückkehrern bis August 2025, wenngleich unbestätigt. Bis Mai 2025 hatten UNHCR-Daten 481.730 Syrer die Grenzen aus Nachbarländern überquert. Warum der Unterschied? In den Nachbarländern leben die Flüchtlinge oft unter prekären Bedingungen in Lagern, mit begrenzten Rechten und ständiger Bedrohung durch Abschiebungen. In Deutschland hingegen haben Syrer Zugang zu Arbeit, Bildung und Sozialsystemen. Viele haben Familien gegründet, Kinder in Schulen integriert – eine Rückkehr würde das alles gefährden. Die neue syrische Regierung mag Assad gestürzt haben, doch die Unsicherheit bleibt: HTS hat islamistische Wurzeln, und der Wiederaufbau stockt. UNHCR-Chef Filippo Grandi warnt vor einem „Flop“ der Rückkehr, wenn kein Geld für Infrastruktur fließt.

Trotz alledem setzt die Zuwanderung aus Syrien fort. Zwischen Januar und August 2025 stellten 17.650 Syrer Asylanträge beim BAMF – mehr Ein- als Ausreisen. Das BAMF hat die Bearbeitung syrischer Anträge seit Dezember 2024 ausgesetzt, da die Lage „starken Veränderungen unterworfen“ ist. Dies führte zu einem Rückstau von 53.187 unerledigten Verfahren. Ausnahmen gelten nur für Straftäter und Gefährder, über deren Schutzstatus wieder entschieden wird. Abschiebungen nach Syrien gibt es seit 2012 nicht mehr, und eine rasche Umsetzung ist unwahrscheinlich, trotz Dobrindts Befürwortung. Das Bundesinnenministerium arbeitet „intensiv“ an Rückführungen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, doch ohne konkrete Schritte bleibt es bei Rhetorik.

Kritisch betrachtet offenbart diese Situation die Heuchelei der deutschen Politik. Einerseits feiert man die Integration – Syrer sind die größte Gruppe bei Einbürgerungen mit 28 Prozent. Andererseits drängt man auf Rückkehr, ohne die Risiken in Syrien anzuerkennen: Zerstörte Infrastruktur, anhaltende Konflikte und wirtschaftlicher Kollaps machen eine sichere Heimkehr illusorisch. Dobrindts Forderungen wirken wie Wahlkampfgetöse, ignorieren aber, dass 60 Prozent der Syrer in Umfragen gar nicht zurückwollen. Statt Druck auszuüben, sollte Deutschland den Wiederaufbau unterstützen, wie UNHCR fordert, und faire Asylverfahren wieder aufnehmen. Die geringe Rückkehr ist kein Versagen der Flüchtlinge, sondern ein Spiegel der Realität: Deutschland ist für viele zu einem neuen Zuhause geworden. Eine Politik, die das ignoriert, riskiert nur Spaltung und Misstrauen.


Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Disclaimer: Dieser Beitrag dient lediglich zu allgemeinen Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Bitte konsultieren Sie vor jeder Anlageentscheidung einen unabhängigen Finanzberater