Warum die Zweistaatenlösung keine Alternative mehr ist
Ein Abgesang auf ein diplomatisches Dogma
Seit Jahrzehnten gilt sie als die vermeintlich einzig denkbare Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt: die Zweistaatenlösung. Zwei Völker, zwei Staaten – so simpel und zugleich so verführerisch. UN-Resolutionen, internationale Friedenskonferenzen, amerikanische Roadmaps, EU-Diplomatie – alle kreisten sie um dieses Leitbild. Doch wer heute, fast 30 Jahre nach Oslo, noch ernsthaft an die Umsetzbarkeit dieses Konzepts glaubt, klammert sich an eine Illusion. Die Zweistaatenlösung ist keine realistische Alternative mehr, sondern ein rhetorisches Feigenblatt für politischen Stillstand.
Die territorialen Fakten: eine irreversible Fragmentierung
Die Vorstellung eines palästinensischen Staates auf den Grenzen von 1967 – also dem Westjordanland inklusive Ostjerusalem und dem Gazastreifen – ignoriert die Realität vor Ort. Diese Gebiete sind nicht nur geografisch voneinander getrennt, sondern innerlich zerschnitten, entkernt und kontrolliert:
- Im Westjordanland hat Israel über 600.000 Siedler angesiedelt, ein dichtes Netz aus Umgehungsstraßen, Checkpoints und Militärzonen durchzieht die Region.
- Ostjerusalem wurde faktisch annektiert; palästinensische Präsenz wird systematisch marginalisiert.
- Der Gazastreifen ist unter Blockade gestellt und steht de facto unter Kontrolle der islamistischen Hamas.
Was als zukünftiger Staat gedacht war, ist heute ein zersplitterter Flickenteppich von Enklaven, dessen Kontrolle – rechtlich, politisch und militärisch – größtenteils bei Israel liegt. Ein souveräner, zusammenhängender palästinensischer Staat ist unter diesen Bedingungen nicht mehr rekonstruierbar, ohne dass Israel sich vollständig entkernt – ein politisch und gesellschaftlich unwahrscheinliches Szenario.
Die politische Realität: zwei Systeme, keine Vision
Auf israelischer Seite hat sich in den letzten Jahrzehnten ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen. Die einst starke zionistische Linke, die Oslo trug, ist politisch marginalisiert. Regierungskoalitionen der letzten Jahre bestehen zunehmend aus rechtsextremen, siedlungsnahen und offen annexionswilligen Kräften. Der „Status quo“ – also die de-facto-Kontrolle über das gesamte Gebiet bei gleichzeitiger Verweigerung palästinensischer Staatlichkeit – ist zur stillen Staatsräson geworden.
Auch auf palästinensischer Seite ist kein handlungsfähiger Partner in Sicht. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist intern zerstritten, autoritär, korruptionsgeplagt und ohne demokratische Legitimation. Die Hamas in Gaza wiederum verfolgt ein ganz anderes Ziel: nicht Koexistenz, sondern Widerstand bis zur „Befreiung“ Palästinas – was im Kern die Delegitimierung Israels bedeutet.
Internationale Heuchelei: Symbolik statt Strategie
Trotz all dieser Entwicklungen halten internationale Akteure – darunter die EU und große Teile der UNO – weiterhin offiziell an der Zweistaatenlösung fest. Das hat weniger mit Überzeugung als mit diplomatischer Routine und politischer Angst vor Alternativen zu tun. Die Zweistaatenformel ist zur hülsenhaften Beruhigungsformel verkommen – ein Konsens ohne Inhalt.
Sie erlaubt es, nicht handeln zu müssen: Man kann sie beschwören, Resolutionen dazu verabschieden, Konferenzen abhalten – ohne die unbequeme Realität konfrontieren zu müssen, dass es auf dem Boden längst einen anderen Zustand gibt.
Moralisches Paradox: Der Preis der Abgrenzung
Die normative Attraktivität der Zweistaatenlösung – zwei Völker, je ein Staat, gleiche Würde – wirkt auf den ersten Blick human. Doch in der gegenwärtigen Realität legitimiert sie strukturelle Gewalt:
- Sie verschleiert, dass Millionen Palästinenser unter israelischer Kontrolle, aber ohne Rechte leben.
- Sie rechtfertigt indirekt die Aufrechterhaltung eines Systems, das zwischen Bürgern erster und zweiter Ordnung unterscheidet, in Erwartung einer „künftigen Lösung“.
- Sie dient als Vorwand, keine Gleichheit im Jetzt herzustellen – weil man auf die Teilung von morgen setzt.
Eine Idee, die den Konflikt konserviert
Die Zweistaatenlösung war einst ein Hoffnungsschimmer – heute ist sie ein instrumentelles Narrativ, das einen nicht mehr existenten Konsens simuliert. Sie ist keine realistische Option mehr, sondern ein rhetorischer Notausgang, der verhindert, dass neue, ehrliche, auch unbequeme Diskussionen geführt werden: über Gleichheit, Staatsbürgerschaft, Sicherheit, Gerechtigkeit und gemeinsame politische Zukunft.
Die Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu verfolgt faktisch eine Ein-Staat-Strategie, die auf die dauerhafte Kontrolle des gesamten historischen Palästinas abzielt – jedoch ohne gleichberechtigte Rechte für die palästinensische Bevölkerung.
1. Offizielle Ablehnung der Zweistaatenlösung
Im Juli 2024 verabschiedete das israelische Parlament eine Resolution, die die Anerkennung eines palästinensischen Staates explizit ablehnt. Darin heißt es, ein solcher Staat stelle eine „existenzielle Bedrohung für den Staat Israel und seine Bürger“ dar.
Premierminister Netanjahu und Mitglieder seiner Regierung betonen regelmäßig, dass ein unabhängiger palästinensischer Staat nicht zur Debatte steht.
2. Massive Ausweitung der Siedlungspolitik
Im Mai 2025 kündigte die israelische Regierung den Bau von 22 neuen Siedlungen im Westjordanland an – die größte Expansion seit den Oslo-Abkommen von 1993.
Diese Maßnahmen sollen die Bildung eines palästinensischen Staates verhindern und die Kontrolle Israels über das gesamte Gebiet festigen.
3. Förderung der „freiwilligen Ausreise“ von Palästinensern
Seit März 2025 existiert in Israel eine Behörde, die die „freiwillige Ausreise“ von Palästinensern aus dem Gazastreifen organisiert.
Diese Politik zielt darauf ab, die demografische Präsenz der Palästinenser zu reduzieren und die jüdische Mehrheit im gesamten Gebiet zu sichern.
4. Ideologische Grundlagen: Der „Unterwerfungsplan“
Finanzminister Bezalel Smotrich, ein führender Vertreter der Siedlerbewegung, propagiert einen „Unterwerfungsplan“, der die vollständige Kontrolle Israels über das Westjordanland vorsieht.
Smotrich bestreitet die Existenz eines palästinensischen Volkes und lehnt jegliche Form palästinensischer Staatlichkeit ab.
5. Internationale Reaktionen und Kritik
Die internationale Gemeinschaft, darunter die EU und Deutschland, hält offiziell an der Zweistaatenlösung fest.
Allerdings wächst die Kritik an Israels Vorgehen, insbesondere angesichts der humanitären Lage im Gazastreifen und der fortschreitenden Siedlungspolitik. gppi.net
Fazit
Die israelische Regierung verfolgt de facto eine Ein-Staat-Politik, die auf die dauerhafte Kontrolle des gesamten Gebiets zwischen Mittelmeer und Jordan abzielt, ohne Palästinenser. Diese Strategie untergräbt die Grundlagen der Zweistaatenlösung und stellt die internationale Gemeinschaft vor die Herausforderung, auf eine zunehmend festgefahrene Situation zu reagieren.