Wenn der Untergang zur Schlagzeile wird

Hans-Werner Sinn ist bekannt dafür, drastische Worte zu wählen. Diesmal sieht er die USA am Rande des finanziellen Abgrunds. „Die USA pfeifen auf dem letzten Loch“ sagt er, als sei die größte Volkswirtschaft der Welt kurz davor, zusammenzubrechen. Doch wer die wirtschaftlichen Fakten nüchtern betrachtet, erkennt schnell, dass diese Zuspitzung mehr Dramatisierung als Analyse ist. Es ist ein Satz, der sich gut anhört, aber am Kern der Realität vorbeigeht.

Ja, die USA haben hohe Schulden. Ja, sie leben seit Jahren über ihre Verhältnisse. Aber daraus eine Pleitegefahr abzuleiten, ist eine Übertreibung, die mehr mit politischer Zuspitzung als mit ökonomischer Vernunft zu tun hat. Die Vereinigten Staaten haben eine Währung, die fast die gesamte Welt nutzt, und Kapitalmärkte, die tief, liquide und stabil sind. Solange der Dollar als sicherer Hafen gilt, werden Investoren amerikanische Staatsanleihen kaufen, egal wie hoch die Verschuldung ist. Das mag man moralisch fragwürdig finden, aber ökonomisch ist es die Realität.

Sinn blendet in seiner Analyse diesen zentralen Punkt aus. Der Dollar ist nicht nur eine Währung, er ist ein Machtinstrument. Wer den Dollar kontrolliert, kontrolliert die globalen Finanzströme. Und solange dieses Privileg besteht, kann von einer „Pleiteähnlichkeit“ keine Rede sein. Die USA sind in der einzigartigen Lage, ihre Schulden in der eigenen Währung zu bezahlen. Sie können Geld drucken, wenn es eng wird, und die Welt nimmt es ihnen nicht übel, sondern bedankt sich noch dafür, weil es Stabilität verspricht.

Sinns Warnung erinnert an alte Kassandrarufe, die in der Geschichte des Kapitalismus immer wieder erklangen. Schon in den Achtzigern hieß es, Amerika sei überschuldet, in den Neunzigern prophezeiten Experten den Niedergang nach der Dotcom-Blase, 2008 nach der Finanzkrise schien das System am Ende. Doch jedes Mal erholte sich die US-Wirtschaft schneller als gedacht. Nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil sie flexibel ist. Die USA können sich neu erfinden. Sie schaffen Innovation, sie ziehen Talente an, sie verändern sich ständig.

Man kann Sinns Skepsis verstehen. Die USA haben Probleme, die soziale Ungleichheit ist gewaltig, das politische Klima vergiftet, und Trump steht für einen Stil, der ökonomische Rationalität zugunsten von Machtpolitik verdrängt. Aber diese Krisen sind nicht gleichbedeutend mit einem ökonomischen Kollaps. Sie sind Ausdruck einer Gesellschaft im Umbruch. Ein Land kann politisch taumeln und ökonomisch trotzdem stark bleiben. Die amerikanische Wirtschaft lebt von Unternehmergeist und Risikofreude. Das ist kein Märchen, sondern eine Realität, die sich in jedem Boom nach jeder Krise wiederholt.

Wenn Sinn die USA mit Griechenland oder Zypern vergleicht, wirkt das fast schon provokant. Diese Länder hatten keine eigene Währung, sie konnten nicht selbst entscheiden, wie sie auf Krisen reagieren. Die USA hingegen verfügen über das mächtigste wirtschaftliche Steuerungsinstrument der Welt. Die Federal Reserve kann Zinsen setzen, die global Märkte bewegen. Das ist eine Macht, die keine andere Nation hat.

Natürlich kann man fragen, wie lange das so bleibt. Wenn Amerika seine Schuldenpolitik übertreibt, wenn Vertrauen in die Institutionen schwindet, wenn der Dollar an internationalem Rückhalt verliert, dann wird es gefährlich. Aber das ist Zukunftsmusik. Heute ist das Land weit entfernt von einem Bankrott. Viel wahrscheinlicher ist, dass es wieder einmal einen Weg findet, aus Schwäche Stärke zu machen.

Sinns Analyse ist also weniger ökonomische Diagnose als politischer Weckruf. Er will provozieren, er will aufrütteln. Das ist legitim. Doch wer die Welt so schwarz-weiß malt, übersieht die Zwischentöne. Die USA sind weder unverwundbar noch bankrott. Sie sind widersprüchlich, oft arrogant, manchmal unvernünftig, aber sie sind wirtschaftlich immer noch das Rückgrat des globalen Systems.

Und vielleicht ist genau das der Punkt, der uns in Europa stört. Wir wünschen uns, dass Amerika endlich an seine Grenzen stößt, damit wir selbst stärker werden. Doch solange der Dollar dominiert, solange amerikanische Innovation die Welt prägt, bleibt das ein frommer Wunsch.

Sinns Warnung hat deshalb weniger mit Wirtschaft zu tun als mit Sehnsucht. Sehnsucht nach einer Ordnung, in der Europa nicht nur Zuschauer ist.


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