Amazon entlässt zehntausende Menschen und verkauft das als Fortschritt. Das klingt modern, digital, nach Zukunft. In Wahrheit ist es ein alter Reflex: Wenn Unsicherheit droht, streicht man Köpfe. Die offizielle Begründung klingt fast heldenhaft. Man wolle „schlanker“ werden und „wie ein Startup“ agieren. Doch wer sich die Zahlen anschaut, merkt schnell, dass hier nicht die Not, sondern die Strategie entscheidet. Ein Konzern, der im ersten Halbjahr über 35 Milliarden Dollar verdient, streicht keine Jobs, weil das Geld fehlt. Er streicht sie, weil es sich rechnet.
Natürlich steht hinter all dem die große Verheißung der künstlichen Intelligenz. Sie soll alles schneller, günstiger und klüger machen. Sie soll die Welt verändern, den Menschen entlasten und Unternehmen auf ein neues Niveau heben. Doch was, wenn diese Vision nur ein bequemer Vorwand ist. Eine Fassade, hinter der sich die alte Gier nach Rendite versteckt. KI ist das neue Zauberwort, das jedes Opfer rechtfertigt. Wer es benutzt, muss kaum erklären, warum Menschen plötzlich überflüssig geworden sind.
Viele der großen Firmen reden vom technologischen Aufbruch, doch in Wirklichkeit geht es um Macht. KI dient nicht nur als Werkzeug, sondern als Argument. Sie beruhigt die Aktionäre und verschreckt die Beschäftigten. Wer sich bedroht fühlt, stellt keine Fragen mehr. Diese Angst ist gewollt. Sie hält die Belegschaft diszipliniert, sie stärkt das Gefühl, ersetzbar zu sein. So wird ein technischer Fortschritt zur sozialen Waffe.
Dabei ist der Glaube an die sofortige Effizienzsteigerung durch KI bisher kaum belegt. In den meisten Fällen spart sie nicht wirklich Zeit, sondern schafft neue Probleme. Die Qualität vieler digitaler Ergebnisse sinkt, während der Druck steigt. Statt echte Innovation zu fördern, entsteht ein Meer aus halbgarer Arbeit, erzeugt von Maschinen, die zwar Worte, aber keine Verantwortung kennen. Und doch lassen sich viele Führungskräfte von dieser Illusion blenden, weil sie kurzfristig Zahlen liefert.
Wer in einem solchen System arbeitet, spürt, dass Loyalität nichts mehr zählt. Menschen werden zu austauschbaren Objekten in einem Experiment, dessen Ausgang niemand kennt. Das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zerbricht still und leise. Wenn ein Unternehmen seine Angestellten nur noch als Kostenfaktor betrachtet, verliert es das, was es eigentlich stark macht: Erfahrung, Gemeinschaft, Identität.
Der gefährlichste Irrtum liegt darin zu glauben, man könne mit weniger Menschen mehr Menschlichkeit schaffen. Eine Firma, die sich zu früh verschlankt, verliert ihre Widerstandskraft. Sie wird nicht flexibler, sondern spröde. In dem Moment, in dem das System versagt, fehlt ihr das, was kein Algorithmus ersetzen kann: das Denken, das Fühlen, das Improvisieren.
Die Manager reden von Mut und Aufbruch, doch in Wahrheit regiert Angst. Angst vor Stagnation, vor Verlust, vor der Zukunft. Diese Angst wird mit dem Etikett „Innovation“ veredelt, bis sie nach Fortschritt klingt. Aber was bleibt, wenn der Fortschritt die Menschen überrollt. Vielleicht eine perfekt laufende Maschine, leer und effizient, aber ohne Herz.
Wer heute applaudiert, weil Amazon schlanker wird, sollte sich fragen, was das morgen bedeutet. Wenn jedes Unternehmen denselben Weg geht, bleibt irgendwann niemand mehr übrig, der die Produkte kauft, die die Maschinen herstellen. Eine Wirtschaft ohne Menschen funktioniert nur auf dem Papier.
Die eigentliche Frage lautet also nicht, wie weit KI gehen kann, sondern wie weit wir bereit sind zu gehen, um den Glauben an ihre Macht aufrechtzuerhalten. Vielleicht ist es Zeit, daran zu erinnern, dass Effizienz kein Selbstzweck ist. Sie ist ein Werkzeug, kein Wert. Wenn wir sie mit Menschlichkeit verwechseln, verlieren wir beides.
