Wer entscheidet über eine Rezession in den USA?

Die US-Wirtschaft schwächelt – aber sind wir wirklich in einer Rezession? Diese Frage stellt sich nicht nur die Bevölkerung, sondern auch Politiker, Investoren und Medien. Doch wer gibt eigentlich die finale Antwort? In den USA ist es kein Ministerium und auch keine Zentralbank, sondern ein kleiner Kreis von Ökonominnen und Ökonomen, der weitgehend im Hintergrund agiert: das Business Cycle Dating Committee (BCDC) des National Bureau of Economic Research (NBER).

Die heimlichen Schiedsrichter des Konjunkturverlaufs

Das NBER ist eine unabhängige, private Forschungseinrichtung mit Sitz in Cambridge, Massachusetts. Es wurde 1920 gegründet und zählt heute zu den einflussreichsten ökonomischen Instituten der Welt. Das BCDC, ein von diesem Institut eingesetztes Gremium, hat eine ganz spezielle Aufgabe: Es datiert offiziell Beginn und Ende von wirtschaftlichen Rezessionen in den Vereinigten Staaten.

Die zwölfköpfige Kommission besteht aus renommierten Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern von führenden US-Universitäten. Den Vorsitz führt derzeit Valerie Ramey, Professorin an der Stanford University. Ihre Aufgabe ähnelt der von Schiedsrichtern im Sport – allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Die Entscheidung fällt nicht in Echtzeit, sondern immer erst im Rückblick.

Was ist eine Rezession – wirklich?

Im öffentlichen Diskurs geistert häufig die einfache Formel umher: „Zwei Quartale mit rückläufigem Bruttoinlandsprodukt (BIP) = Rezession.“ Diese Faustregel mag in vielen Fällen passen, doch sie greift zu kurz und ist nicht Teil der offiziellen US-Definition.

Das NBER verwendet eine qualitativere Herangehensweise. Eine Rezession ist laut ihrer Definition ein „signifikanter Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität, der sich über die gesamte Volkswirtschaft erstreckt und mehr als nur einige Monate andauert.“ Dabei schaut das Komitee auf eine Vielzahl von Indikatoren:

  • Beschäftigung (Nonfarm Payrolls)
  • Reales persönliches Einkommen (bereinigt um staatliche Transferleistungen)
  • Industrieproduktion
  • Reale Umsätze im Unternehmenssektor

Zusätzlich fließen drei zentrale Kriterien in die Bewertung ein: Tiefe (wie stark ist der Rückgang?), Dauer (wie lange hält er an?) und Diffusion (wie breit ist der Abschwung über Sektoren hinweg verteilt?).

Warum die Entscheidung auf sich warten lässt

Während Schlagzeilen schnell von „Rezession“ sprechen, lässt sich das BCDC Zeit mit seiner Entscheidung – oft mehrere Monate, manchmal über ein Jahr. Der Grund: Die Kommission wartet, bis belastbare, mehrfach revidierte Daten vorliegen. Prognosen oder Echtzeitdaten spielen keine Rolle. Die Folge: Wenn das BCDC eine Rezession ausruft, ist diese meist längst vorbei – oder zumindest weit fortgeschritten.

Ein prominentes Beispiel ist die COVID-19-Rezession im Jahr 2020. Trotz ihrer extremen Kürze von nur zwei Monaten (März bis April) wurde sie vom NBER als Rezession klassifiziert – wegen der nie dagewesenen Geschwindigkeit und Tiefe des Wirtschaftseinbruchs.

Weshalb das Timing trotzdem zählt

Warum ist es überhaupt wichtig, wann und ob eine Rezession offiziell erklärt wird? Schließlich erleben Unternehmen, Konsumenten und Politiker die wirtschaftlichen Folgen ohnehin unmittelbar. Die Antwort liegt in der Langzeitperspektive:

  • Historiker und Wirtschaftsforscher nutzen die offiziellen Daten, um Konjunkturzyklen zu analysieren.
  • Politische Entscheidungsträger wollen ihre Maßnahmen im Nachhinein evaluieren.
  • Finanzmärkte berücksichtigen die Einordnung, um zukünftige Risiken besser einzuschätzen.

Kurz: Der Stempel „Rezession“ prägt das kollektive wirtschaftliche Gedächtnis.

Kritik und Alternativen

Das retrospektive Verfahren des BCDC hat jedoch auch Kritiker. Ökonomische Frühwarnsysteme wie der sogenannte „Sahm Rule Indicator“ (benannt nach der Ökonomin Claudia Sahm) oder automatisierte Modelle der Fed versuchen, Rezessionen schneller zu erkennen. Doch bislang hat sich das NBER-Verfahren als goldener Standard für die historische Bewertung durchgesetzt – trotz seiner trägen Geschwindigkeit.

Fazit: Rezessionen werden nicht vorhergesagt – sondern festgestellt

In einer Zeit, in der Wirtschaftsnachrichten in Echtzeit zirkulieren, wirkt der Ansatz des BCDC beinahe altmodisch. Doch gerade diese bedachte, datenbasierte Methodik verleiht den Urteilen des Gremiums eine besondere Glaubwürdigkeit. Wer also wissen will, ob die USA wirklich in einer Rezession sind, muss sich gedulden – bis die Schiedsrichter des Konjunkturzyklus ihre Entscheidung gefällt haben.


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