Der Streit zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der Bundesregierung über die Finanzierung der Gesundheitskosten für Bürgergeld-Empfänger ist nicht bloß eine technische Auseinandersetzung über Pauschalen. Er ist ein Lehrstück über ordnungspolitisches Versagen, politische Bequemlichkeit und eine immer dreistere Belastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Nun eskaliert der Konflikt: Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zieht vor Gericht und fordert vom Bund jährlich rund zehn Milliarden Euro – eine Summe, die bislang von den Beitragszahlern erzwungen wird.
Die Fakten sind eindeutig. Für Bürgergeldbeziehende überweist der Bund derzeit eine monatliche Pauschale von 133,17 Euro an die Krankenkassen. Doch nach Berechnungen unabhängiger Gutachten müssten es über 300 Euro sein, um die realen Ausgaben zu decken. Die Differenz summiert sich zu einem strukturellen Defizit von rund zehn Milliarden Euro jährlich. Dieses Defizit tragen nicht „die Allgemeinheit“, sondern allein die 75 Millionen gesetzlich Versicherten und deren Arbeitgeber. Mit anderen Worten: Der Bund lagert gesamtgesellschaftliche Aufgaben ins Sozialversicherungssystem aus – und zwingt die Beitragszahler, für staatliche Sozialpolitik aufzukommen.
Für die Vertreter der Krankenkassen ist das nichts anderes als ein unzulässiger Griff in die Kassen der Solidargemeinschaft. Sie sprechen von einem „rechtswidrigen Eingriff“ in die Finanzautonomie der Sozialversicherungsträger und einem klaren Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Zweckbindung der Beiträge. Ihre Klage zielt darauf, den Bund gerichtlich zu verpflichten, die tatsächlichen Kosten aus Steuermitteln zu übernehmen. Dass die Kassen nun diesen Schritt gehen, ist weniger Ausdruck juristischer Streitlust als vielmehr ein Zeichen politischer Resignation: Die Versprechen früherer Koalitionen, das Problem zu lösen, sind allesamt gebrochen worden. Im aktuellen schwarz-roten Vertrag taucht das Thema gar nicht mehr auf.
Die Folgen sind absehbar: Steigende Zusatzbeiträge. Schon heute liegt der durchschnittliche Beitragssatz bei fast 18 Prozent des Bruttolohns – ein Niveau, das internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet und Arbeit in Deutschland immer teurer macht. Wenn die Unterdeckung nicht durch Steuermittel ausgeglichen wird, droht 2026 eine weitere Beitragserhöhung. Das trifft nicht nur Arbeitnehmer mit niedrigen und mittleren Einkommen, sondern auch Unternehmen, die mit steigenden Lohnnebenkosten konfrontiert sind. Wer die „Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland“ im Munde führt, muss an dieser Stelle Farbe bekennen: Lohnarbeit darf nicht länger als fiskalische Melkkuh des Staates missbraucht werden.
Die Verteidiger der bisherigen Praxis könnten einwenden, dass Pauschalen bewusst niedriger angesetzt werden, um Kostendruck auf die Krankenkassen auszuüben. Doch dieses Argument überzeugt nicht. Denn hier geht es nicht um Effizienz, sondern um eine systematische Verschiebung von Staatsausgaben auf das beitragsfinanzierte System. Bürgergeld ist ein staatliches Fürsorgeinstrument. Seine Kosten sind genuin dem Steuerhaushalt zuzurechnen. Wer versucht, sie über Krankenkassenbeiträge zu verstecken, begeht ordnungspolitischen Etikettenschwindel.
Besonders problematisch ist die soziale Schieflage. Steuerfinanzierung würde die Last auf alle 84 Millionen Bürger verteilen, auch auf Privatversicherte und auf Menschen mit Kapital- und Vermögenseinkommen. Die jetzige Praxis jedoch wälzt die Bürde allein auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab – eine Ungerechtigkeit, die dem viel beschworenen Prinzip „starker Schultern“ zuwiderläuft. Sie ist nichts anderes als eine Sondersteuer auf Arbeit.
Das Risiko für die Bundesregierung ist erheblich. Sollte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen oder später gar das Bundesverfassungsgericht den Kassen recht geben, stünden milliardenschwere Nachfinanzierungen im Raum. Für die Steuerzahler wäre das transparent, für die Politik unbequem – aber ordnungspolitisch konsequent. Denn nur so würde sichtbar, welche Kosten die großzügige Sozialpolitik tatsächlich verursacht.
Die Klage der Krankenkassen ist damit mehr als ein finanzielles Manöver. Sie ist ein ordnungspolitischer Weckruf. Wenn Sozialbeiträge zweckentfremdet werden, verliert das System seine Legitimität. Und wenn die Politik weiterhin den einfachsten Weg wählt – Arbeit zu belasten, weil sie sich nicht wehren kann –, dann untergräbt sie das Fundament des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Die Lösung liegt auf der Hand: Bürgergeldkosten müssen vollständig aus Steuern finanziert werden. Alles andere ist Täuschung, Belastung und letztlich eine Gefahr für Wachstum und Beschäftigung. Es ist höchste Zeit, dass der Staat aufhört, sich an den Kassen der Beitragszahler zu bedienen.