Wie ETFs ihr eigenes Erfolgsrezept verwässern

Alles begann so harmlos. ETFs waren die Antwort auf die ewige Leier der Fondsbranche: zu teuer, zu intransparent, zu viel Marketing-Geschwätz. Ein ETF dagegen: billig, effizient, schnörkellos. Der nüchterne Beweis, dass Vermögensaufbau nicht kompliziert sein muss. Ein Klick, und schon partizipiert man am globalen Kapitalismus – ohne den Ballast eines Fondsmanagers, der sich selbst für ein Genie hält, aber langfristig kaum den Index schlägt. ETFs, das war Kapitalismus light: kein Lifestyle, sondern schlichte Effizienz.

Und nun? Nun sind wir im Jahr 2025 umzingelt von einem Wildwuchs an Produkten, die mit der ursprünglichen Idee nur noch wenig zu tun haben. Wer heute in ETFs investiert, findet sich in einer bizarren Supermarktszenerie wieder: Die Regale sind vollgestopft mit Spaghetti Carbonara in 20 Geschmacksrichtungen – glutenfrei, vegan, ketogen, mit CBD-Öl, mit Quantencomputing-Gewürz und für alle Fälle auch in einer „religiös zertifizierten“ Variante. Das Problem: Im Kühlschrank des Anlegers liegen nur Eier, Speck und Nudeln. Es wird grotesk.

Die Finanzindustrie hat den ETF entdeckt wie einst die Modeindustrie das T-Shirt. Einst war es das simple weiße Baumwollhemd, erschwinglich und universell tragbar. Heute bekommt man es in 200 Variationen, von „Destroyed Vintage“ bis „Organic Cotton Sustainable Premium“. Genau so ist es mit ETFs: aus der kostengünstigen Lösung für jedermann ist ein modisches Accessoire für jeden erdenklichen Nischenwunsch geworden.

Doch die Folgen sind weniger harmlos als beim T-Shirt. Ein ETF auf den MSCI World war klar: 1600 große Unternehmen aus der Industrieländerwelt, fertig. Heute hat man die Wahl zwischen einem Dutzend Produkten, die alle denselben Index abbilden, aber zu unterschiedlichen Gebühren, mit unterschiedlichen Rebalancing-Zyklen, mal ausschüttend, mal thesaurierend, mit Swap oder physischer Replikation. Wer soll da noch durchblicken? Und das ist nur die langweilige Variante. Die modische Linie bietet Hebel-ETFs auf einzelne Aktien, Blockchain-ETFs mit 90 Prozent Verlustpotenzial oder Produkte, die irgendetwas mit „FreedomTech“ zu tun haben.

Das Resultat ist das Paradox der Wahl: je mehr Möglichkeiten, desto größer die Überforderung. Der ETF sollte die Dinge einfacher machen – und macht sie nun komplizierter. Anleger, die eigentlich rational diversifizieren wollten, starren fassungslos auf ihre Trading-App. Wollen sie den „Emerging Markets IMI“, den „Emerging Markets Core“ oder doch lieber einen „Smart Beta ESG Emerging Markets Ex-China“? Am Ende entscheidet man sich aus purer Verzweiflung für den erstbesten Fonds mit einem halbwegs vertraut klingenden Namen.

Wie absurd die Lage inzwischen ist, zeigt eine nüchterne Zahl: In den USA gibt es heute mehr ETFs als Aktien. Genauer gesagt: rund 4.370 Indexfonds stehen nur etwa 4.172 Einzelwerten gegenüber. Mit anderen Worten: Es gibt mehr Körbe als Äpfel, Birnen und Bananen zum Hineinlegen. Ein groteskes Missverhältnis, das die Überproduktion im ETF-Sektor auf den Punkt bringt.

Hinzu kommt das Kostentheater. Die Branche war einst stolz auf ihre Spesenquoten von 0,1 Prozent. Heute langen Themen-ETFs locker mit 0,6 oder 0,7 Prozent zu – also genau das Niveau, das man früher den aktiv gemanagten Fonds vorwarf. Und wehe, der Fonds hat kein nennenswertes Volumen. Dann wird er kurzerhand dichtgemacht oder fusioniert. Für den Anleger bedeutet das: steuerliche Stolperfallen, Neu-Investition, Transaktionskosten. Der Traum vom „Buy and Hold“ verwandelt sich in eine Zwangsauktion.

Natürlich, man könnte das alles auch positiv sehen. Vielfalt, Innovation, Anpassung an individuelle Präferenzen – so argumentieren die Anbieter. Aber im Kern ist es ein Marketingtrick. Die Finanzindustrie entdeckt ihr altbekanntes Geschäftsmodell neu: Möglichst viele Produkte in den Markt werfen, immer wieder neue Trends erfinden und hoffen, dass der Anleger nicht merkt, dass er eigentlich nur denselben Wein in neuen Schläuchen kauft.

Die Pointe ist bitter: Der ETF war einmal die Revolution gegen das Aufblasen von Finanzprodukten. Heute bläht er sich selbst auf. Die Branche hat das Instrument, das Transparenz und Einfachheit versprach, zu einem Werkzeug für Verwirrung und Gebührenmaximierung gemacht.

Die Lehre für den Anleger? Weniger ist mehr. Wer glaubt, mit fünf Nischen-ETFs smarter zu sein als mit einem simplen MSCI World, wird irgendwann feststellen, dass er zwar hochkomplex investiert ist – aber ohne erkennbaren Mehrwert. Die Zukunft der Geldanlage liegt nicht im Sammeln exotischer ETF-Trophäen. Sondern darin, sich an das zu erinnern, was den ETF einst groß gemacht hat: Einfachheit.

So betrachtet sind ETFs heute wie eine überladene Speisekarte: viele bunte Gerichte, aber am Ende schmeckt die schlichte Pasta oft am besten.


Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Disclaimer: Dieser Beitrag dient lediglich zu allgemeinen Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Bitte konsultieren Sie vor jeder Anlageentscheidung einen unabhängigen Finanzberater