Deutschland leidet nicht an mangelnder Technologie, sondern an mangelnder Umsetzung. Während Handwerk und Industrie punktuell beweisen, wie Künstliche Intelligenz (KI) Planungs-, Dokumentations- und Kommunikationsarbeit entlastet, verharren zu viele Behörden in papiergebundenen Prozessen. Die Folge: vergeudete Arbeitszeit, Frustration bei Bürgern und Unternehmen, verpasste Wachstumschancen. Wer bürgerlich denkt, will einen Staat, der ordnet, schützt und ermöglicht – nicht einen, der durch Selbstbeschäftigung lähmt. Es braucht eine klare Agenda, die Rechtssicherheit, marktwirtschaftliche Anreize und digitale Souveränität verbindet.
Warum es hakt – und was daraus folgt
Die Blockaden sind hinlänglich bekannt: Überregulierung, föderale Zersplitterung, vergaberechtliche Schwerfälligkeit, Angst vor Fehlern. Datenschutz wird zu oft als Abwehrschild statt als Gestaltungsauftrag verstanden. Behörden digitalisieren Formulare, nicht Verfahren; sie beschaffen Software wie Brückenbau, nicht wie lernfähige Produkte. Das Ergebnis sind Insel-Lösungen, die weder skalieren noch Vertrauen schaffen. Die Konsequenz: Erstens muss der Staat Priorität auf Ende-zu-Ende-Digitalisierung legen, nicht auf PDF-Schönheit. Zweitens braucht es klare Verantwortlichkeit mit Durchgriffsrechten. Drittens: Mut zu Pilotierung und kontrollierter Skalierung, flankiert von strenger Rechenschaft.
Die 12-Punkte-Agenda
- Politische Steuerung mit Biss
Ein Bundes-Chief Digital Officer im Kanzleramt mit Mandat, Budgets und Durchgriffsrechten. Eine kleine Delivery Unit setzt priorisierte Vorhaben um, veröffentlicht monatlich Fortschrittsberichte und räumt Hürden aus dem Weg. Länder und Kommunen werden über eine verbindliche Standard- und Architekturkonferenz eingebunden. - Rechtsrahmen „Digital first, analog möglich“
Schriftformerfordernisse werden digital definiert; die eID wird standardmäßig akzeptiert. „Once-Only“-Prinzip gesetzlich verankern: Daten, die der Staat hat, fragt er nicht erneut ab. Experimentierklauseln für KI-gestützte Verfahren mit ex-ante-Risikoanalyse und ex-post-Audit. Harmonisierung von Fachrecht, damit identische Leistungen bundesweit identisch digitalisiert werden können. - Register- und Identitätsmodernisierung
Kernregister (Personen, Unternehmen, Immobilien, Fahrzeuge) werden qualitätsgesichert, versioniert und über standardisierte APIs zugänglich gemacht. Bereichsspezifische, pseudonyme Kennziffern schützen Privatsphäre; Datenflüsse werden über Datentreuhandmodelle und Protokollierung abgesichert. Ohne saubere Register bleibt jede KI ein Torso. - Architektur: Cloud-first, offen, sicher
Ein föderationsfähiges Cloud-Ökosystem (Bundescloud plus qualifizierte Public-Cloud-Nutzung) mit klaren Schutzprofilen. Durchgängig offene Schnittstellen, referenzierte Datenmodelle, ein staatlicher Open-Source-Kern für wiederverwendbare Bausteine (Identität, Zahlungen, Terminierung, Messaging). Vendor-Lock-in wird durch Interoperabilität und Portabilität entschärft. - Vergabe neu denken
Von Pflichtenheften zu Zielmetriken: Beschaffung auf Outcomes, nicht auf Seitenzahlen. Agile Mehrjahresrahmen, kleine Lose, vorkommerzielle Aufträge, Startup-Tauglichkeit, verpflichtende Interoperabilitäts-/Exit-Klauseln. Zahlung nach messbarem Nutzen (z. B. Durchlaufzeit, Fehlerquote, Nutzungsrate). - Prozesse entkernen, dann digitalisieren
Vor der KI kommt die Vereinfachung: Streichung redundanter Nachweise, Standardisierung von Prüfkriterien, automatische Plausibilitäten. End-to-End-Prozessketten mit durchgehendem Status-Tracking für Bürger und Unternehmen. Zielgröße: Anträge werden zu 80 % ohne menschliche Intervention entschieden, die übrigen Fälle erhalten qualifizierte Sachbearbeitung. - KI dort einsetzen, wo sie skaliert
Frontoffice: 24/7-Assistenten für Anfragen, Terminsteuerung, Formulardialoge, mehrsprachig. Backoffice: Klassifizierung, Vollständigkeitsprüfung, Vorentscheidungen mit „Human-in-the-Loop“, Betrugs- und Missbrauchserkennung, automatische Dokumentenerstellung, Übersetzungen. Priorisierte Domänen: Baugenehmigungen, Einwanderung/Visum, Sozialleistungen, Justiz-Akte, Förderprogramme, Zoll. In der Industrie: prädiktive Instandhaltung, Qualitätskontrolle, adaptive Produktionsplanung; im Gesundheitswesen: Termin- und Belegungssteuerung, Kodierung, Abrechnungsvorprüfung. - Kompetenzen, Kultur, Personal
Ein verpflichtender „KI-Führerschein“ für Führungskräfte und Schlüsselrollen. Rotierende Digital-Fellowships zwischen Verwaltung und Mittelstand, um Praxiswissen zu tauschen. Attraktive Karrierepfade für Tech-Talente in der Verwaltung; Leistungsprämien für messbare Digitalerfolge statt Sitzfleisch. - Sicherheit, Haftung, Rechenschaft
Risikoklassen für KI-Anwendungen mit abgestuften Anforderungen an Tests, Erklärbarkeit und Monitoring. Pflicht zum Protokoll über Trainingsdaten, Versionen, Prompt-Tuning und Entscheidungen. Unabhängige Prüfinstanzen (technisch und rechtsstaatlich) mit Veröffentlichungen von Audit-Berichten – Transparenz ist die Währung des Vertrauens. - Messbare Ziele und öffentliche Dashboards
Service-Level (z. B. „Baugenehmigung < 30 Tage“, „Visum Fachkraft < 10 Tage“) werden rechtsverbindlich. Ein zentrales Dashboard zeigt Durchlaufzeiten, Ablehnungsgründe, Auslastungen, Störungen. „Name-and-Fame“ statt „Name-and-Shame“: Wer liefert, wird sicht- und budgetwirksam belohnt. - Finanzierung mit Disziplin
Digitalisierung wird aus Entlastungsdividenden gespeist: Ein Teil der nachweislichen Einsparungen (Personalzeit, Papier, Liegezeiten) fließt automatisiert in die nächste Ausbaustufe. Keine Gießkanne, sondern Portfolio-Management: Vorhaben mit höchstem Nettonutzen zuerst. Schuldenbremse bleibt Richtschnur – Effizienz ist fiskalische Tugend. - Föderal kooperieren, kommunal skalieren
Shared-Service-Center bieten Module für Kommunen „as-a-Service“. Länder behalten Gestaltungsspielräume, verpflichten sich aber auf Standards. Peer-Reviews zwischen Verwaltungen sorgen für Wettbewerb um die besten Lösungen. Bürgerbeteiligung durch offene Schnittstellen – Civic-Tech kann auf offiziellen APIs echte Mehrwerte bauen.
Zeitplan mit klaren Meilensteinen
Erste 100 Tage: CDO ernennen, Delivery Unit aufstellen, Top-10-Verfahren priorisieren, Vergaberegeln für Outcome-Beschaffung beschließen, Dashboard-Grundlage veröffentlichen. 12 Monate: eID-Akzeptanz in allen priorisierten Verfahren, drei Kernregister API-fähig, produktive KI-Assistenten in mindestens fünf Domänen (Bau, Visum, Soziales, Justiz, Fördermittel) mit human-in-the-loop. 24–36 Monate: „Once-Only“ flächendeckend, >80 % automatisierte Standardentscheidungen in den priorisierten Verfahren, bundeseinheitliche Architekturbausteine produktiv, messbare Halbierung der Durchlaufzeiten.
Einwände ernst nehmen – ohne Stillstand zu legitimieren
Datenschutz? Ja – aber als „Privacy by Design“, mit strenger Protokollierung, Pseudonymisierung und Zweckbindung. Arbeitsplatzsorgen? KI ersetzt Routinen, nicht Urteilskraft; sie verschiebt Tätigkeiten von Prüfung zu Betreuung und Fallbearbeitung in der Fläche. Fehlergefahr? Deshalb Risikoklassen, Audits, menschliche Letztverantwortung. Föderalismus? Standards sichern Vielfalt ohne Chaos. Die Alternative zum Mut ist nicht Sicherheit, sondern schleichende Handlungsunfähigkeit.
Was jetzt zu tun ist
Politik muss Prioritäten festlegen und sich daran messen lassen. Verwaltung muss Verfahren entkernen und Serienreife statt Pilotitis anstreben. Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen liefern, nicht nur beraten. Deutschland hat alles Nötige – Kapital, Talente, Technologie. Es fehlt lediglich der Wille, Komplexität zu vereinfachen und Verantwortung zu übernehmen. Ein starker, rechtsstaatlicher, marktwirtschaftlich denkender Staat ist im 21. Jahrhundert vor allem eines: digital handlungsfähig.