Wie Migranten Deutschlands Fachkräftelücken schließen

Deutschland steht vor einem paradoxen Befund: Während Politik und Wirtschaft über Fachkräftemangel und Zuwanderungsbedarf debattieren, zeigt eine neue Auswertung des Statistischen Bundesamts (Destatis), dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte längst zu den tragenden Säulen vieler Schlüsselbranchen geworden sind – besonders dort, wo der Arbeitskräftemangel am größten ist. Laut Mikrozensus 2024 hat mehr als ein Viertel (26 Prozent) aller abhängig Beschäftigten in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte. In einzelnen Engpassberufen liegt dieser Anteil weit darüber: In der Schweiß- und Verbindungstechnik etwa bei 60 Prozent, in der Lebensmittelherstellung und bei Köchinnen und Köchen bei jeweils 54 Prozent, im Gerüstbau bei 48 Prozent.

Damit sichern Zugewanderte zentrale Sektoren, ohne die die Wirtschaft kaum funktionieren würde: Gastronomie, Pflege, Logistik, Transport und Produktion. In der Altenpflege beispielsweise stammt fast jede dritte Fachkraft aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte. Auch Berufskraftfahrer, Hotelpersonal und Beschäftigte in der Kunststoffindustrie gehören zu jenen Gruppen, die Deutschland buchstäblich „am Laufen halten“.

Doch das Bild hat eine zweite Seite. Während Migrantinnen und Migranten die Arbeitslücken in belastenden, schlecht entlohnten oder körperlich fordernden Tätigkeiten füllen, bleiben sie in gut abgesicherten, statusstarken Bereichen deutlich unterrepräsentiert. In der öffentlichen Verwaltung, der Polizei, dem Schulwesen oder der Justiz liegen ihre Anteile häufig unter zehn Prozent. Die Destatis-Daten zeigen damit nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Begrenzungen der Arbeitsmarktintegration.

Diese Asymmetrie verweist auf ein strukturelles Problem: Zuwanderung wird in Deutschland primär funktional verstanden – als Mittel gegen Fachkräftemangel, weniger als langfristiges Integrationsprojekt. Viele Zugewanderte finden Beschäftigung, aber nicht Aufstieg. Anerkennungsverfahren für ausländische Qualifikationen dauern oft zu lange, Sprachvorgaben und bürokratische Hürden versperren den Weg in regulierte Berufe. Hinzu kommt, dass der öffentliche Dienst bislang kaum systematisch auf Diversität ausgerichtet ist.

Wirtschaftlich betrachtet hat die Migration die Engpassbranchen stabilisiert und Lohninflation in arbeitsintensiven Sektoren abgemildert. Sozialpolitisch jedoch birgt die ungleiche Verteilung Risiken: Wenn Menschen mit Einwanderungsgeschichte über Generationen hinweg in bestimmten, meist niedrig entlohnten Berufsgruppen konzentriert bleiben, droht die Ausbildung einer „migrantischen Arbeiterschicht“. Das schwächt gesellschaftliche Kohäsion und kann langfristig auch den Fachkräftepool verengen – denn wer unten bleibt, verliert Perspektiven.

Die Herausforderung für Politik und Wirtschaft besteht daher weniger in der Frage, ob Deutschland Migration braucht, sondern wie sie genutzt und gestaltet wird. Notwendig wären: schnellere Anerkennung von Qualifikationen, gezielte Aufstiegsprogramme, bessere Arbeitsbedingungen in Mangelberufen und eine Öffnung des öffentlichen Dienstes für Bewerber mit internationaler Biografie. Nur wenn Integration nicht nur auf Arbeitskraft, sondern auch auf Teilhabe zielt, bleibt der Fachkräftezuzug dauerhaft tragfähig.

Die Zahlen von Destatis machen deutlich: Migration ist kein Zukunftsversprechen mehr – sie ist Gegenwart. Die wirtschaftliche Stabilität vieler Branchen hängt bereits jetzt von ihr ab. Die politische Frage lautet daher nicht, ob Deutschland Einwanderung will, sondern ob es sie endlich klug organisiert.


1. Allgemeine Befunde
Laut Erstergebnissen des Mikrozensus 2024 hat in Deutschland rund ein Viertel (26 %) aller abhängig Beschäftigten eine Einwanderungsgeschichte, d. h. sie selbst oder ihre Eltern sind seit 1950 nach Deutschland eingewandert. Besonders stark vertreten sind diese Personen in Berufen, in denen laut Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit Fachkräftemangel herrscht oder droht.

2. Überdurchschnittliche Anteile in Mangelberufen
In zahlreichen sogenannten Engpassberufen ist der Anteil der Beschäftigten mit Einwanderungsgeschichte deutlich höher als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt:

  • Schweiß- und Verbindungstechnik: 60 %
  • Lebensmittelherstellung und Köchinnen/Köche: je 54 %
  • Gerüstbau: 48 %
  • Bus- und Straßenbahnfahrer:innen: 47 %
  • Fleischverarbeitung: 46 %
  • Servicekräfte in der Gastronomie: 45 %
    Auch in weiteren Mangelberufen liegen die Werte über dem Durchschnitt:
  • Kunststoff- und Kautschukherstellung: 44 %
  • Hotelservice: 40 %
  • Berufskraftfahrer:innen im Güterverkehr: 39 %
  • Metallbearbeitung: 37 %
  • Altenpflege: 33 %
  • Speditions- und Logistikkaufleute: 32 %
  • Metallbau und Elektrotechnik: je 30 %

3. Geringe Repräsentanz in bestimmten Berufsgruppen
Deutlich unterrepräsentiert sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte in sicherheits- und verwaltungsnahen Tätigkeiten:

  • Rettungsdienst: 8 %
  • Justizverwaltung: 9 %
  • Landwirtschaft: 15 %
    Ähnlich niedrige Anteile finden sich in nicht als Engpassberufe klassifizierten Feldern wie
  • Polizeivollzugsdienst: 7 %,
  • öffentlicher Verwaltung und Sozialversicherung: je 9 %,
  • Lehrkräfte (Primarstufe 9 %, Sekundarstufe 12 %),
  • Steuerverwaltung: 10 %.

4. Branchenanalyse
Neben den Berufen weisen bestimmte Branchen ebenfalls überdurchschnittliche Werte auf:

  • Gastronomie: 54 %
  • Gebäudebetreuung inkl. Garten- und Landschaftsbau: 50 %
  • Beherbergung: 43 %
  • Wach- und Sicherheitsdienste, private Haushalte mit Hauspersonal, Lagerei und Verkehrsdienstleistungen: je 42 %
  • Spiel-, Wett- und Lotteriewesen sowie Post-, Kurier- und Expressdienste: je 41 %
  • Alten- und Pflegeheime sowie Kraftwagenproduktion: je 32 %

Unterdurchschnittlich vertreten sind Beschäftigte mit Einwanderungsgeschichte dagegen in:

  • öffentlicher Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung: 12 %,
  • Versicherungen: 14 %,
  • Energieversorgung und Landwirtschaft: je 15 %,
  • Erziehung und Unterricht: 17 %.

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