Wirtschaftlicher Wandel als Nährboden des Rechtspopulismus – Die AfD und ihr Aufstieg in Deutschlands Transformationsregionen

Der IW-Kurzbericht 62/2025 mit dem Titel „AfD gewinnt gerade in Transformationsregionen“ analysiert die politischen Erfolge der AfD in wirtschaftlich besonders betroffenen Industriegebieten Deutschlands im Kontext des Strukturwandels und der Dekarbonisierung. Zentrale Aussagen und Befunde des Berichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Aufstieg der AfD in Transformationsregionen:
Die AfD verzeichnet überdurchschnittliche Wahlergebnisse in jenen Regionen, in denen traditionelle Industriebranchen – etwa Automobilproduktion oder energieintensive Fertigung – durch ökologische Transformation unter Druck geraten. Hier trifft die Partei mit ihren wirtschaftspessimistischen und systemkritischen Narrativen auf besonders empfängliche Wählerschichten. Der Begriff „Transformationsregionen“ bezeichnet Landkreise mit hoher Abhängigkeit von CO₂-intensiver Industrieproduktion.

2. Politisch-ökonomische Parallelen zu internationalen Entwicklungen:
Analogien werden zu Entwicklungen im US-amerikanischen Rustbelt, in Nordfrankreich oder den britischen Midlands gezogen. Auch dort wuchs die politische Relevanz rechtsnationaler Bewegungen nach dem Verlust industrieller Arbeitsplätze.

3. Wählerstruktur und soziodemographische Dynamiken:
Auffällig ist, dass weniger individuell betroffene Arbeitnehmer, sondern vielmehr das gesamte sozioökonomische Umfeld von Deindustrialisierung betroffen ist. In schrumpfenden Regionen mit Abwanderung junger und qualifizierter Arbeitskräfte wirken wirtschaftliche Unsicherheit, Statusverlustängste und infrastrukturelle Abkopplung als Treiber rechtsradikaler Wahlerfolge.

4. Konkrete Wahlergebnisse:
Die AfD konnte 2025 in Industriezentren wie Rottweil-Tuttlingen (27,1 %), Heilbronn (25,5 %) und Schwäbisch Hall – Hohenlohe (25,1 %) massiv zulegen. Besonders markant war der Anstieg im thüringischen Wahlkreis Sonneberg (plus 16,7 Prozentpunkte auf 43,1 %). Bundesweit lagen die AfD-Ergebnisse in Transformationsregionen im Schnitt 3,7 Prozentpunkte über dem Rest – mit einem besonders starken Anstieg in Ostdeutschland.

5. Wahrnehmung wirtschaftlicher Risiken als politischer Hebel:
Die AfD mobilisiert primär dort, wo industrielle Identität, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze bedroht sind – etwa infolge der Energiepreiskrise oder konkreter Werksschließungen wie im Fall Baunatal (VW). Die Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft lassen sich dort in politische Radikalisierung übersetzen.

6. Politikempfehlung und institutionelle Gegenmaßnahmen:
Zur Stabilisierung gefährdeter Regionen wird eine Reform der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) vorgeschlagen. Ziel ist es, Förderung nicht nur nachträglich, sondern präventiv zu gewähren – also dort, wo industrieller Wandel droht, aber noch gestaltbar ist. Nur so könne man extremistische Wahlerfolge durch frühzeitige, strukturstärkende Maßnahmen unterbinden.

Kritische Einordnung:
Die Studie liefert eine überzeugende empirische Fundierung für die These, dass wirtschaftlicher Strukturwandel – insbesondere, wenn er abrupt, schlecht kommuniziert und sozial unausgewogen verläuft – das Vertrauen in demokratische Institutionen unterminieren kann. Dass insbesondere wirtschaftlich starke, aber transformativ gefährdete Regionen zur Wiege populistischer Bewegungen werden, widerspricht gängigen Klischees eines „abgehängten Ostens“. Die Studie entlarvt diese Verkürzung und weist vielmehr auf die Bedeutung sozioökonomischer Verwundbarkeiten hin, die über Himmelsrichtungen hinausreichen.

Gleichwohl bleibt kritisch anzumerken, dass der Bericht die psychopolitischen Effekte medial verstärkter Untergangsszenarien – etwa durch die AfD selbst – nur unzureichend problematisiert. Die politische Kultur, die Resonanzräume für einfache Schuldzuschreibungen bietet, wird eher als Effekt denn als Ursache betrachtet. Zudem erscheint die Hoffnung auf GRW-Mittel als zentrale Gegenmaßnahme zu technokratisch und ohne tiefere demokratiepolitische Fundierung.

Fazit: Der Bericht bietet einen differenzierten, empirisch gut unterfütterten Blick auf den Zusammenhang zwischen industriellem Strukturwandel und AfD-Wahlerfolgen – er bleibt aber in seiner Lösungsorientierung innerhalb der Logik wirtschaftspolitischer Instrumente verhaftet und vermeidet eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der kulturellen und kommunikativen Dimension des Rechtsrucks.


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