Die neue Statistik aus Wiesbaden wirkt auf den ersten Blick wie eine nüchterne Zahlenspielerei: 4,2 Millionen Menschen in Deutschland konnten im vergangenen Jahr ihre Strom- oder Gasrechnungen nicht fristgerecht begleichen. Doch hinter diesen Prozentwerten verbirgt sich eine beunruhigende Realität. Es ist ein Befund, der die tieferliegende Fragilität unseres Wohlstands offenlegt – und der Politik wie Gesellschaft gleichermaßen einen Spiegel vorhält.
Zunächst fällt auf, dass Mieter besonders stark betroffen sind. Während nur 3,4 Prozent der Eigentümerhaushalte im Zahlungsverzug standen, lag der Anteil bei Mietern bei fast doppelt so hohen 6,4 Prozent. Das ist kein Zufall. Wer im Eigenheim lebt, profitiert nicht nur von einem stabileren Kostenrahmen, sondern in der Regel auch von höheren Einkommen und besseren Rücklagen. Mietern hingegen bleibt wenig Spielraum: Sie sind den steigenden Nebenkosten unmittelbar ausgeliefert. Diese Belastung spiegelt eine soziale Kluft wider, die sich nicht allein mit mehr Transferleistungen überbrücken lässt. Sie verweist vielmehr auf ein strukturelles Problem: Deutschland hat die Eigentumsbildung systematisch vernachlässigt. Während in vielen europäischen Ländern die Mehrheit der Menschen im Eigenheim lebt, bleibt Wohneigentum hierzulande ein Privileg der Besserverdienenden.
Noch deutlicher wird die Verletzlichkeit, wenn man den Blick auf die Rücklagen der Bürger richtet. Ein Drittel der Bevölkerung – über 30 Millionen Menschen – könnte eine unerwartete Ausgabe von 1.250 Euro nicht aus eigenen Mitteln bestreiten. Das bedeutet: Eine kaputte Waschmaschine, eine Autoreparatur oder eine Arztrechnung reichen aus, um Haushalte in finanzielle Schieflage zu bringen. Dies ist nicht bloß ein Armutsproblem, sondern betrifft zunehmend die Mittelschicht. Der Befund zeigt, dass breite Teile der Gesellschaft kaum noch über die ökonomische Resilienz verfügen, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung eigentlich selbstverständlich sein sollte. Eigenverantwortung setzt Rücklagen voraus. Wer diese nicht bilden kann, gerät unweigerlich in Abhängigkeit von staatlichen Hilfen – und damit in eine Spirale wachsender Fremdbestimmung.
Besonders brisant ist die Preisentwicklung: Zwar sind die Energiepreise zuletzt leicht gesunken, doch bewegen sie sich nach wie vor auf einem hohen Niveau. Gleichzeitig stiegen die Wohnnebenkosten überdurchschnittlich um vier Prozent, während die allgemeine Inflation nur bei 2,2 Prozent lag. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Grundbedürfnisse – Wohnen, Heizen, Wasser, Müllabfuhr – stärker teurer werden als andere Lebensbereiche. Es trifft also genau jene Ausgaben, die sich nicht vermeiden lassen. Wer sparen muss, kann auf Restaurantbesuche oder Urlaubsreisen verzichten. Doch bei Nebenkosten und Energie gibt es keine Ausweichmöglichkeiten.
Die politische Antwort auf diese Herausforderungen war bislang vor allem akute Krisenbekämpfung: Preisbremsen, Subventionen, Einmalzahlungen. Das lindert kurzfristig, schafft aber keine strukturelle Entlastung. Der Staat verteilt Milliarden, ohne das Grundproblem anzugehen: zu wenig bezahlbarer Wohnraum, hohe Energiekosten durch eine übereilte und planungsunsichere Energiewende, eine Steuer- und Abgabenlast, die Haushalte wie Unternehmen gleichermaßen erdrückt. Wer glaubt, diese Missstände mit immer neuen Transfermechanismen kompensieren zu können, verkennt das Wesen der sozialen Marktwirtschaft: Wohlstand entsteht durch Wachstum, Eigentumsbildung und Eigenverantwortung – nicht durch permanente staatliche Alimentation.
Der Befund des Statistischen Bundesamtes ist damit mehr als eine Momentaufnahme. Er ist ein Warnsignal. Wenn ein Drittel der Bevölkerung keine Rücklagen hat, wenn Millionen Mieter ihre Strom- und Gasrechnungen nicht bezahlen können, dann ist die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes ins Wanken geraten. Eine Gesellschaft, die von der Hand in den Mund lebt, verliert ihre Gestaltungsfreiheit. Sie wird anfälliger für populistische Versprechen, für Forderungen nach immer mehr Umverteilung – und entfernt sich Schritt für Schritt von jenem Modell der sozialen Marktwirtschaft, das Deutschland jahrzehntelang Wohlstand und Stabilität gesichert hat.
Es ist höchste Zeit, umzusteuern: mehr Wohnungsbau durch weniger Bürokratie, gezielte Förderung von Eigentumsbildung, eine Energiepolitik, die Versorgungssicherheit und Preisstabilität ernst nimmt, sowie eine Entlastung der arbeitenden Mitte von Steuern und Abgaben. Denn nur so kann verhindert werden, dass die nächste Statistik aus Wiesbaden noch düsterer ausfällt.