Zehn Jahre danach: Migration stärkt Wirtschaft, Integration bleibt ungleich

Zehn Jahre nach der Flüchtlingskrise: Ausländische Arbeitskräfte tragen Milliarden zur Wirtschaft bei – doch Integration bleibt ungleich

Im Sommer 2015 prägte Angela Merkel mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ eine der politisch umstrittensten Formeln der jüngeren deutschen Geschichte. Zehn Jahre später lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen – sowohl aus ökonomischer wie aus arbeitsmarktpolitischer Sicht. Zwei aktuelle Studien, eine des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und eine des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), zeigen: Deutschland hat viel geschafft, doch es bleiben beträchtliche Herausforderungen.

Das IW beziffert den ökonomischen Beitrag von Menschen ohne deutschen Pass auf 706 Milliarden Euro. Rund sieben Millionen Ausländer arbeiteten 2024 in Deutschland – beinahe jeder sechste Beschäftigte. Ihr direkter Beitrag zur Wertschöpfung lag bei 536 Milliarden Euro, unter Einbezug vorgelagerter Produktionsketten und Konsumausgaben ergibt sich der genannte gesamtwirtschaftliche Effekt. Vor allem Baden-Württemberg profitiert überdurchschnittlich von der Zuwanderung: Hier liegt der Anteil der ausländischen Beschäftigten an der Wertschöpfung bei 17,3 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen bei nur 5,4 Prozent. Die ökonomische Bedeutung der Migration ist damit unbestreitbar.

Der Blick des IAB auf die 2015 zugezogenen Geflüchteten fällt differenzierter aus. Neun Jahre nach ihrer Ankunft liegt ihre Beschäftigungsquote bei 64 Prozent und damit nur knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 70 Prozent. Besonders bei Männern wurde ein bemerkenswerter Aufholprozess verzeichnet: Mit 76 Prozent übertreffen sie sogar den Beschäftigungsgrad deutscher Männer. Dagegen bleiben geflüchtete Frauen mit lediglich 35 Prozent Erwerbsbeteiligung weit zurück – eine Lücke, die nicht nur auf Kinderbetreuung, sondern auch auf strukturelle Barrieren wie fehlende Anerkennung von Abschlüssen oder eingeschränkten Berufszugang verweist.

Auch die Einkommenslage zeigt deutliche Abstriche: Vollzeitbeschäftigte Geflüchtete erreichen im Median lediglich 70 Prozent des Einkommens aller Vollzeitbeschäftigten und bewegen sich damit knapp über der Niedriglohnschwelle. Zwar ist das junge Durchschnittsalter ein erklärender Faktor, doch birgt das niedrige Lohnniveau die Gefahr dauerhafter Abhängigkeit von Transferleistungen. Ein Drittel der 2015 Zugezogenen lebt auch 2023 noch in Haushalten, die Bürgergeld beziehen.

Bemerkenswert ist zugleich, dass viele Geflüchtete überdurchschnittlich häufig in systemrelevanten und Engpassberufen tätig sind – vom Gesundheitswesen über Logistik bis zum Bau. Sie füllen damit Lücken, die angesichts des Fachkräftemangels ansonsten schwer zu schließen wären. Allerdings bleiben Aufstiegschancen begrenzt: Nur wenige erreichen höhere Qualifikationsstufen.

Beide Studien weisen zudem auf erhebliche regionale Unterschiede hin. In den wirtschaftsstarken süddeutschen Ländern sind Beschäftigungsquoten und Verdienste von Migranten und Geflüchteten deutlich höher als in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Das IAB sieht sogar einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Klima und Integration: Wo rechtsextreme Demonstrationen stattfinden, sind Beschäftigungswahrscheinlichkeiten und Einkommen der Geflüchteten niedriger.

Die Bilanz zehn Jahre nach Merkels Satz fällt damit zwiespältig aus. Einerseits ist der ökonomische Beitrag ausländischer Arbeitskräfte – Geflüchtete eingeschlossen – für Deutschland unverzichtbar. Ohne sie würde das Bruttoinlandsprodukt spürbar sinken. Andererseits zeigen sich hartnäckige Integrationsdefizite: Geschlechterungleichheit, Lohnrückstände, regionale Spaltungen und eine teils ablehnende gesellschaftliche Stimmung.

Politisch ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Die Verfahren zur Visaerteilung und Anerkennung von Berufsabschlüssen müssen beschleunigt, bürokratische Hürden abgebaut und Integrationsangebote stärker auf Frauen zugeschnitten werden. Wer die Potenziale von Migration für Wirtschaft und Gesellschaft voll ausschöpfen will, darf die ungelösten Fragen nicht verdrängen. „Wir schaffen das“ – das war ein Versprechen. Die ökonomischen Daten belegen: Einiges wurde geschafft. Doch ob es reicht, hängt von der politischen Entschlossenheit der kommenden Jahre ab.


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