In einem Welt-Interview erklärt Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, dass trotz der öffentlichen und politischen Debatten über Zurückweisungen an deutschen Grenzen für die Bundespolizei Klarheit herrsche. Es liege eine eindeutige Weisung des Bundesinnenministeriums vor, auch Asylsuchende an den Grenzen zurückzuweisen, sofern sie aus sicheren Drittstaaten einreisen. Diese Anweisung werde von der Bundespolizei umgesetzt – unabhängig von der laufenden politischen Diskussion.
Asylsuchende können nun direkt an der Grenze zurückgewiesen werden, bevor sie einen Antrag stellen. Diese Maßnahme, initiiert von Innenminister Dobrin, soll den Migrationsdruck an den deutschen Grenzen spürbar reduzieren. Im Gespräch mit Heiko Tagerz, dem Vorsitzenden der Bundespolizeigewerkschaft, wird klar, wie die Bundespolizei diese Weisung umsetzt und welche Herausforderungen sich ergeben.
Klare Weisung für die Bundespolizei
Tagerz betont, dass die neuen Regeln für die Bundespolizei keine große Veränderung im Alltag bedeuten. „Die Bundespolizei hat eine klare Weisung: Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen“, erklärt er. Bislang wurden bereits Personen ohne Asylantrag oder mit Wiedereinreisesperre zurückgeschickt. Nun kommt eine neue Gruppe hinzu: Diejenigen, die einen Asylantrag stellen wollen. „Das funktioniert genauso wie bisher, nur die Auswahl der Zurückgewiesenen hat sich geändert“, so Tagerz.
Humanitäre Ausnahmen bleiben bestehen. Unbegleitete Minderjährige oder hochschwangere Frauen werden nicht zurückgewiesen. Diese Regelung ist im § 18 Asylgesetz, Absatz 4, verankert, der solche Ausnahmen klar definiert. Der Grundsatz bleibt jedoch: Wer aus einem sicheren EU-Staat einreist, wird zurückgewiesen.
Dominoeffekt als Ziel
Die neuen Regeln sollen nicht nur Deutschland entlasten, sondern auch Nachbarstaaten wie Polen, Österreich, die Schweiz oder Frankreich dazu bringen, ihre Grenzkontrollen zu verschärfen. „Die Reise endet an der deutschen Grenze“, sagt Tagerz. Wenn die Anreinerstaaten konsequent kontrollieren, würde weniger Menschen überhaupt die deutsche Grenze erreichen. Diesen Dominoeffekt erhoffen sich Minister Dobrin und CDU-Chef Friedrich Merz, um den Migrationsdruck nachhaltig zu senken.
Tagerz kritisiert zudem das europäische Asylsystem: „Wenn europäisches Recht von allen Staaten eingehalten würde, käme es nicht zu Hunderttausenden, die an Binnengrenzen Asylanträge stellen.“ Für ihn ist klar: Ein nicht funktionierendes System kann nicht die Grundlage für die deutsche Politik sein. Die Bundespolizei setzt daher die aktuellen Vorgaben konsequent um, unabhängig von politischen Debatten.
Herausforderungen an der Grenze
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten? Tagerz erklärt, dass Zurückgewiesene noch nicht in Deutschland eingereist sind, sondern sich in der Kontrolle und damit im Zuständigkeitsbereich des Anreinerstaats befinden. „Die Frage, ob sie zurückgenommen werden, stellt sich gar nicht. Wir lassen sie nicht weiterreisen“, so Tagerz. Dennoch bleibt unklar, wie Nachbarpolizeien auf die erhöhte Zahl Zurückgewiesener reagieren.
Ein weiterer Punkt ist der Personaleinsatz. Laut Andreas Roskopf, einem Kollegen Tagerz’, wurden 1200 zusätzliche Beamt:innen der Bundesbereitschaftspolizei an die Grenzen verlegt. Dieser Einsatz ist zunächst auf wenige Wochen begrenzt, um eine sichtbare Polizeipräsenz zu schaffen. Tagerz betont jedoch: „Sollte das ein Dauerzustand werden, brauchen wir mehr Personal.“ Eine schnelle Lösung wären Tarifbeschäftigte, die Beamt:innen von Verwaltungsaufgaben entlasten könnten. „Beamte brauchen zwei bis drei Jahre Ausbildung – Tarifbeschäftigte sind schneller einsatzbereit“, erklärt er.
Fazit: Entlastung oder Symbolpolitik?
Die neuen Asylregeln sind ein Versuch, den Migrationsdruck an Deutschlands Grenzen zu reduzieren und Nachbarstaaten zu strengeren Kontrollen zu bewegen. Für die Bundespolizei ändert sich wenig – die Umsetzung ist klar geregelt, die Weisung eindeutig. Doch die langfristigen Auswirkungen bleiben abzuwarten. Wird der erhoffte Dominoeffekt eintreten? Oder bleibt die Maßnahme ein symbolisches Signal? Eines ist klar: Die Reise vieler Asylsuchender endet nun an der Grenze – zumindest vorerst.
Die Ausrufung einer „nationalen Notlage“ in der Migrationsfrage ist in Deutschland rechtlich nicht klar definiert. Es gibt keine spezifische gesetzliche Regelung, die diesen Begriff verwendet oder die Zuständigkeit dafür festlegt. Allerdings kann die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen ergreifen, die in eine ähnliche Richtung gehen.
Eine rechtliche Grundlage bietet Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser erlaubt es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die von den allgemeinen Regelungen der EU abweichen, wenn dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit erforderlich ist. In der Praxis bedeutet dies, dass ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Artikel 72 AEUV beispielsweise Grenzkontrollen einführen oder Asylsuchende zurückweisen kann, wenn er eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit sieht.
In der aktuellen politischen Diskussion gab es Berichte, dass Bundeskanzler Friedrich Merz eine „nationale Notlage“ ausgerufen habe, um solche Maßnahmen zu rechtfertigen. Diese Berichte wurden jedoch von der Bundesregierung dementiert. Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte, dass der Bundeskanzler keinen nationalen Notstand in Kraft gesetzt habe. Innenminister Alexander Dobrindt bestätigte zwar, dass Maßnahmen auf Grundlage von Artikel 72 AEUV ergriffen werden, betonte jedoch, dass der Begriff „nationale Notlage“ nicht offiziell verwendet wurde.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Anwendung von Artikel 72 AEUV rechtlich umstritten ist und möglicherweise zu Konflikten mit dem EU-Recht führen kann. Die genaue Auslegung und Anwendung dieses Artikels müsste im Zweifelsfall vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen ergreifen kann, die einer „nationalen Notlage“ ähneln, jedoch ist der Begriff selbst rechtlich nicht definiert, und seine Anwendung ist mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden.